Geplanter Beitrag von Olli zur Soli-Veranstaltung am 23.08. in Berlin

Den folgenden Beitrag hatte uns Olli für die Soli-Veranstaltung am 23. August in der jw-Galerie in Berlin aus dem Knast zugeschickt. Er sollte dort verlesen werden. Da dem Sprecher, den das Soli-Komitee Olli R. dafür vorgesehen hatte, vom veranstaltenden Komitee ein Redeverbot erteilt wurde, hat Olli den Beitrag zurückgezogen. Wir veröffentlichen ihn deshalb auf der website.

Liebe GenossInnen und FreundInnen,

die Razzien des 22. Mai d.J. liegen nun über drei Monate zurück, das Sommerloch liegt hinter uns und ein vermutlich zeit- und kraftraubender politischer Prozess einerseits der organisierten Abwehr staatlicher Repression und andererseits des Aufbaus stabiler Solidaritätsstrukturen vor uns.

Aufgrund meiner spezifischen Situation als politischer Gefangener und Aktivist der Industrial Workers of the World [IWW] habe ich mir die Frage zu stellen, wie ich von hier aus, d.h. aus den Katakomben des Tegeler Knasts heraus, meinen Beitrag als politisches Subjekt einbringen kann.

Die Ausgangslage ist hier – um’s gelinde zu sagen – relativ ungünstig. Die ‚Sonderstellung’ als politischer Gefangener hilft nur bedingt, um hinter den Knastmauern zu agieren. Diese Form der Isolation stellt sich auch deshalb sehr schnell ein, weil wir in der BRD keine kollektiven Zusammenhänge unter politisch und sozial engagierten Inhaftierten haben. Die 70er und 80er Jahre liegen weit, weit hinter uns, auch wenn wir natürlich bestimmte Erfahrungshintergründe aktivieren können, um einen neuen Anlauf einer wahrnehmbareren Gefangenenarbeit aus den Knästen heraus zu lancieren.

Aber – und das ist deutlich sichtbar zu unterstreichen: jede Initiative in eine solche Richtung wird sehr kleinteilig beginnen müssen, da werden die großen Sprünge oder Schübe ausbleiben.

Ich kann im Rahmen dieser Grußbotschaft nur drei Aspekte oder Orientierungen benennen, die mir wichtig erscheinen, um von drinnen nach draußen wirken zu können:

  1. Als Basis innerhalb einer JVA müssen sich die politisch aufgeschlossenen und sozial interessierten Inhaftierten suchen und finden, um beispielsweise eine Art Interessenvertretung im eigenen Laden hinzubekommen. Dies kann nur ein Übergang zu einer Selbstorganisierung von Knackis sein, die dem Gedanken – und letztlich der Tätigkeit als einer Gefangenen-Union etwas abgewinnen können. (Eine Initiative zur Einrichtung einer Gefangenengewerkschaft hat es in der Vergangenheit gegeben, sie ist jedoch nicht umgesetzt worden. Der Unionismus könnte ein brauchbares Modell für eine Struktur sein, die sowohl den in den Betrieben tätigen als auch den Gefangenen ohne Arbeit eine Möglichkeit zur Organisation bietet.)
  2. Da politische Gefangene in der BRD komplett marginalisiert sind, braucht es den Blick über den Tellerrand. Die rote hilfe international [rhi], die sich am Beispiel der Internationalen Roten Hilfe anlehnt, versucht seit dem Jahr 2000 Kampagnen und Initiativen von und zu politischen Gefangenen  bzw. zu begleiten. Eine Koordinierung und letztlich eine internationalistisch ausgerichtete Gefangenensolidarisierung ist notwendig, um jenen hinter Gittern eine starke Stimme geben zu können, die von staatswegen de facto als politische Geiseln in vielen Ecken dieser Welt gehalten werden.

Und eine dritte Überlegung kommt hinzu, die sich aus der Lage der Dinge für mich im sog. Normalvollzug ergibt: es geht um eine Re-Popularisierung eines sozialen Verhaltenskodex innerhalb der Knacki-Population, um die tagtäglichen Gewalttätigkeiten wenigstens einzuschränken.

Die guten alten Ringvereine, eine Unterstützungsstruktur des sozialen Ganoventums vor langer, langer Zeit können eine brauchbare Vorlage sein. Und tatsächlich: es gibt sie selbst hier in Tegel – die, die Gangster waren, sind und bleiben werden, aber Gangster mit Hirn und Herz. Das Leben in den Trakten und Schächten der Anstalten ließe sich um vieles konfliktfreier gestalten, zöge mehr Geist der damaligen Ringvereine ein …

Ich weiß, alles was ich mit diesen Zeilen unterbreite, ist pures Planspiel – aber mit irgendetwas muss ich mich hier beschäftigen. Auch die Gesellschaftsform ohne Ausbeutung und Unterdrückung liegt in weiter Ferne, dennoch lassen wir nicht nach!

Ich möchte an dieser Stelle nur noch einen riesengroßen Dank an meine GenossInnen, KollegInnen und FreundInnen für ihre Formen und Arten der Solidarität ausdrücken. Was so lapidar daherkommt, ist zutiefst authentisch: Danke!

Olli

Montag, den 19. August 2013