Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenkommens politischer und rebellischer Gefangener

Ein Diskussionsversuch

Dieser Beitrag soll vorerst einen Abschluss darstellen. In den vergangenen Monaten habe ich mit mehreren Texteinwürfen verschiedene Gesichtspunkte und Betrachtungsweisen zu Fragen der (politischen) Gefangenschaft aufgerollt. Ich bin im Wesentlichen mit dem durch, was ich meinte, kundtun zu müssen.

In den nächsten Monaten wird es darauf ankommen, die bislang eingegangenen, mitgeteilten und noch kommenden Reaktionen aufzunehmen, um an den einzelnen Tauen des „Drinnen & Draußen“ weiterzuknüpfen. Es zeichnen sich durchaus einige Kontroversen ab, die meiner Ansicht nach mit dem Ziel vor Augen vertieft werden sollten, dass am (vorläufigen) Ende dieser Dispute einige Silben mehr an (Selbst-)Verständigung in der radikalen Linken stehen. Wir werden sehen …

Ich bewege mich weitgehend im Bereich des Hypothetischen und Spekulativen, wenn ich in diesem Text die Frage nach einer rebellischen und politischen Gefangenenbewegung (!?) aufwerfe. Damit meine Ausführungen allerdings ein erforderliches Maß an realistischem Gehalt bekommen, will ich mich auf die Beschreibung von Projekten stützen, die entweder eine frühere Existenz vorweisen können oder aber in Ansätzen eine Aktualität besitzen.

Wenn nach Eventualitäten und Realisierungschancen eines Zusammenkommens von einem geringen Teil der Inhaftierten gefragt wird, schälen sich zwei Linien heraus, die sich schematisch als Tendenz einer rebellischen und einer politischen Gefangenenbewegung beschreiben lassen Spannend wird es an den potentiellen Übergangspunkten dieser Bewegungstendenzen bzw. an deren Schnittstellen. An jenen Stellen eröffnen sich Optionen der Bündelung von Übereinstimmungen, die über die Interessensgleichheit zu einer (vorübergehenden) Einheit führen können. Der Konjunktiv sei hier mehrfach unterstrichen!

Im Dickicht der Widersprüche

Wie in anderen meiner Darstellungen, die von der Situation meiner aktuellen Haft im sog. Normalvollzug geprägt sind, bin ich damit konfrontiert, einen (politischen) Umgang mit Widersprüchen und Ambivalenzen zu finden. Ich würde es auch vorziehen, in den unten stehenden Zeilen mehr Eindeutigkeit, Klarheit und Unmissverständlichkeit zu entdecken. Indes lassen das die vorzufindenden Bedingungen nicht ohne weiteres zu Dieses Papier stützt sich zwar auf eine Vielzahl von tatsächlich selbst gemachten Erfahrungen, in ihm werden geschilderte Erfahrungen verarbeitet und es fügen sich Erfahrungen aus überlieferten und angelesenen Quellen anderer (ehemaliger) Inhaftierter zusammen. Dieser Querschnitt ist freilich Ausdruck meines subjektiven Blicks auf diese verzweigte Thematik. Darin mag sowohl die Authentizität als auch die Begrenztheit des Dargestellten liegen.

Wie für viele Genossinnen aus der radikalen Linken ist es für mich ebenso keine sonderlich leichte Übung, aus meinem ziemlich hermetisch geschlossenen Konservatismus an der einen oder anderen Stelle „auszubrechen“. Der Abbau von Schamgrenzen und Berührungsängsten verlangt dem „ordinären Linksradikalen“ mit Sicherheit einiges ab. Voraussetzungen für diesen „Sprung ins Unbestimmte“ sind: Scheuklappen ablegen, Dogmen hinterfragen und festgefahrene Bahnen links liegen lassen. Und im Umkehrschluss: Sichtfeld öffnen, Terrain erkunden und unbekannte (Neben-)Gleise ausprobieren.

Im Grunde bestehen zwei Motive nebeneinanderher, wenn es um eine inhaltliche Problematisierung einzelner „Standards“ linksradikaler Politik geht: erstens begegnen wir dem Versuch, ein bewegungsloses Verharren als Standhaftigkeit und Entschlossenheit blumenreich zu verkaufen. Dieses Vorgehen steht nicht nur für Stillstand, sondern für ein Unvermögen an Reflexionswillen. Zweitens können vorgelegte oder sich aufdrängende Fragestellungen genutzt werden, um einen Neubestimmungsversuch in ausgewählten Bereichen linksradikaler Politik zu unternehmen.

Sowohl in dem einen als auch in dem anderen Motivfall wird der Begründungszusammenhang mal mehr und mal weniger plausibel ausgeleuchtet und dargeboten.

Vom Gefangenenrat (GR) zur Projekt-Idee einer Gefangenen-Union (GU) – Ansätze einer rebellischen Gefangenenbewegung

In den vergangenen 40 Jahren existierten mehrere (kurzlebige) Initiativen der Organisierung von Inhaftierten. Es bedarf allerdings eines gewissen archäologischen Aufwandes, frühere Projekte an die Erdoberfläche zu heben. Die Initialzündung einer Anti-Knastarbeit in der Ära der Nach-68er-Bewegung setzte mit der Mobilisierung gegen die Inhaftierung eines SDS-Aktivisten im oberfränkischen Ebrach Mitte 1969 ein. Legendär wurde das Ebracher Knastcamp, auf dem sich einige spätere Aktivistinnen der militanten und bewaffneten Linken tummeln sollten. Zu Beginn der 1970er Jahre pulsierte in den bundesrepublikanischen Knastanlagen die Renitenz der Inhaftierten fühlbar. Die verstärkten Unmutsäußerungen aus den Knasten der Jahre 1972/1973, die sich als praktische Kritik und mitunter aufrührerisch gegen den Strafvollzug der BRD manifestierten, führten nicht nur zu einer erhöhten Presseresonanz, sondern zu Bestrebungen, den Inhaftierten eine autonom organisierte Stimme zu geben.

Der GR und der „militante Kompromiss“

Die Motivation zur Gründung des (Frankfurter) Gefangenenrats (GR) im Herbst 1973 resultierte zum einen aus der Existenz verschiedener Roter und Schwarzer Hilfen und der Bildung der Komitees gegen Folter sowie zum anderen aus der Beobachtung der Zunahme internationaler Knastrevolten seit dem Beginn der 1970er Jahre vor allem in den USA und Knästen gelten.

Den Beginn des GR und deren Zusammensetzung benennen die Anti-Knast-Aktivistinnen in der ersten Nummer ihres Blatts Nachrichtendienst (ND) vom Dezember 1973: „Wir sind eine Gruppe von entlassenen Strafgefangenen und ehemaligen Inhaftierten der psychiatrischen Haftanstalten. Wir haben in Frankfurt einen lokalen Gefangenenrat gebildet. In verschiedenen Anstalten haben sich uns Gruppen angeschlossen, die dort innere Gefangenenräte errichten.“

In dieser Auftaktnummer wird ein Forderungskatalog entworfen, mit dem die Zielsetzungen der Auflösung aller Zwangsanstalten und der Selbstvertretung der Inhaftierten ins Zentrum der Aktivitäten gerückt werden: „Wir fordern die Abschaffung der Internierung einer ökonomisch, politisch und rechtlich entwerteten Klasse in den Strafanstalten, psychiatrischen Haftanstalten, Fürsorgeanstalten; wir fordern die Abschaffung der Verurteilung und Einsperrung von Menschen, die durch ihre Herkunft vorbestimmt sind.“ „Wir fordern“, so heißt es weiterführend, dass „[a]lle, die von der Gewalt der herrschenden und besitzenden Klassen zur Verzweiflung, zum Selbstmord, zu Krankheiten, zu Affekthandlungen, zu kriminellen Revolten getrieben werden, weil sie einer ausgebeuteten und erniedrigten Klasse angehören, sich selbst politisch vertreten können [müssen], um leben zu können, um am Leben zu bleiben.“

Zudem wurden die „Anerkennung der Gefangenenräte innerhalb und außerhalb der Anstalten“ sowie eine „uneingeschränkte Anerkennung ihres politischen Mandats“ zur einzulösenden Forderung erhoben.

Grundsätzlich wurde von den GR-Aktivistlnnen die Zweiteilung von politischen und sozialen Gefangenen verworfen. Mit dieser Unterscheidung werde einer Hierarchisierung innerhalb der Population der Inhaftierten nicht nur Vorschub geleistet, sondern diese auch zementiert. Vorzugsweise dann, wenn anhand der Frage der Isolationshaft ein „Vorrecht“ in der Solidaritätsarbeit gegenüber politischen Gefangenen abgeleitet wird, obwohl der knastinterne Isolationismus gleichermaßen renitente soziale Gefangene betrifft.

Der GR fokussierte – nicht ganz ohne Koketterie – ausdrücklich auf das inhaftierte Lumpenproletariat. Damit sollte ein klassenspezifischer Gegenpol zum vermeintlich kleinbürgerlich-studentischen Inhaftierten, der sich in Gruppenstrukturen der militanten oder bewaffneten Linken organisierte, geschaffen werden. Damit wird auch erklärt, dass sich die „kriminellen“ Gefangenen auf ihre eigenen Kräfte besinnen müssen, um selbstorganisiert zu einem Faktor werden zu können.

Strittig war die transparente oder anonyme Außendarstellung. Während der GR auf eine sozusagen namenlose Öffentlichkeitsarbeit setzte, wurde bspw. den Komitees gegen Folter zum Vorwurf gemacht, dass sie mit der personifizierten Kampagnenpolitik für isolierte politische Gefangene eine Privilegierung über einen Prominentenbonus vornehmen würden.

Der innere GR gab sich in politischer Hinsicht betont dezent. Die Aktivisten der Knast-GRs rechtfertigten dies damit, dass sie größtenteils mit apolitischen Insassen zu tun hätten. Eine „linkslastige“ Orientierung, mit der zumindest ein Emanzipationsgedanke transportiert werden konnte, war den „Rats-Mitgliedern“ nicht abzusprechen, auch wenn das Einfallstor eines dubiosen politischen Neutralismus weit offen stand.

Der knastinterne Aktivismus, so groß- oder kleinspurig er sich auch immer zu geben vermochte, musste mit dem Status quo in den Haftanstalten kollidieren. Das (dauerhafte) Einnehmen einer konfrontativen und konsequenten Haltung in den Schächten und Stollen des Knastes scheiterte im Anstaltsalltag nur allzu regelmäßig an den banalen Widrigkeiten desselben.

Ein deutlich zu vernehmender Radikalisierungskurs des GR präsentierte sich in dem programmatischen Beitrag unter dem Titel „Die drei Schritte der Gefangenenbewegung“, der in der Nr. 8 des ND im April 1975 der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Einleitend heißt es in Abgrenzung zur (akademischen) sog. Randgruppenstrategie: „Die Gefangenenbewegung beginnt mit den Querulanten. Wir wollen das ausdrücklich feststellen, um denen entgegenzutreten, die sie mit den betreuerischen Einflüssen der Studentenbewegung beginnen lassen, und außerdem, um auf die Entgegengesetztheit beider Bewegungen hinzuweisen.“

In diesem GR-Grundlagenbeitrag wird eine Kontinuitätslinie von der damals aktuellen Bewegung renitenter Gefangener und dem querulantischen Ursprungstypus des Eingesperrten gezogen: „Die Anfänge der Gefangenenbewegung setzen im Großen fort, was Erfahrung des Widerstands der Querulanten war: die hoffnungslosen juristischen Gefechte, die nur einen Sinn als Sabotage der Justizmaschinerie haben und auch zuletzt von den meisten Aktiven so gehandhabt wurden.“ Und diese im Querulantischen liegenden Momente von Sabotage erzielte man durch eine „punktuelle Überlastung des Apparates“ infolge von „massenhafte[n] Beschwerden und Anzeigen.“ Aber auch das stieß insofern wiederum an seine Grenzen, wenn die Anstaltsbürokratie im Verbund mit der Juristerei systematisch dazu überging, bspw. Strafanzeigen unbearbeitet oder gar direkt im Papierkorb verschwinden zu lassen.

In der letzten Phase der Relevanz des GR standen sich zwei Positionen gegenüber, die sich nur schwerlich vermitteln ließen. Zum einen orientierte der „pragmatische Flügel“ auf einen linksliberalen, menschrechts- und rechtsstaatlichen Diskurs, mit dem eine „Humanisierung des Strafvollzugs“ erwirkt werden sollte. Zum anderen tendierte der „Sozialrevolutionäre Flügel“ auf einen militarisierten Konfrontationskurs innerhalb und außerhalb der Knaste. Der GR lähmte sich in dem Spannungsfeld zwischen „Gefangenen-Miliz und Knast-Karitas“ faktisch selbst.

Neben den innerstrukturellen Unvereinbarkeiten der Positionen hinsichtlich der politischen Ausrichtung einer zu entwickelnden Gefangenenbewegung, unterlag der GR letztlich den repressiven Penetrationen der Verfolgungsbehörden. U.a. wurde der § 129 ins Feld geführt, mit dem der GR zu einer „kriminellen Vereinigung“ stigmatisiert werden sollte. Diese Repressionswelle konnte vom strukturell und personell nicht sonderlich stark aufgestellten GR kaum effektiv abgeblockt werden, zumal die Solidarisierungsbasis zu schmal war, um eine breit angelegte Kampagne zu entfalten.

Die Verabschiedung des Entwurfs einer Magna Charta für alle Internierten in Gefängnissen, psychiatrischen Anstalten, Fürsorge- und Erziehungsheimen, welcher 1980 von dem langjährigen Anti-Knast-Aktivisten Peter Schult über das Kollektiv Rote Hilfe (KRH) aus München eingebracht wurde, ließ sich nicht mehr realisieren. Eine Bestandsaufnahme, die Schult in seinem analytischen Beitrag „Zur aktuellen Krise der Gefangenenbewegung“ (1979) in der Zeitschrift Autonomie formulierte, endete zu optimistisch, denn eine Debatte um eine zu erarbeitende Maßnahmenliste, aus der sich ein Aktionsprogramm ableiten ließe, erfüllte sich nicht.

Festzuhalten ist, dass sich die (von Linksradikalen unterschätzte) Episode des GR im Kern um eine Politisierung der Gefangenenpopulation drehte. Mit der Erhöhung eines Selbstwertgefühls als Gefangener und der „Ideologisierung“ des Anti-Knastkampfes konnte die praktisch gewordene Renitenz als ein politischer Ausdruck ausgemacht werden. Als „Nebeneffekt“ trat ein, dass engagierte soziale Gefangene und rebellische Langzeitgefangene das teilweise empfundene oder eingeredete „Defizit“ kompensieren konnten, nicht als „politische Gefangene“ akzeptiert zu werden.

Einschub: Ein Aktionsprogramm für gefangene Arbeiterinnen?

Oftmals wird die Ignoranz politischer Gefangener gegenüber der überwiegenden Mehrheit der Inhaftierten angeführt. Dabei wird vernachlässigt, dass sich politische Gefangene keineswegs vordergründig mit einem elitären Habitus durch die Knastzeit bewegten. Nicht nur aus einzelnen Briefwechseln von politischen Gefangenen kann entnommen werden, dass auf ein größtmögliches Zusammenwirken zwischen unterschiedlichen Gefangenengruppen gesetzt wurde. Darüber hinaus sind konkrete Initiativen von inhaftierten Aktivistinnen revolutionärer Organisationen belegt.

Das von Ulrike Meinhof verfasste „Provisorische Kampfprogramm für den Kampf um die politischen Rechte der gefangenen Arbeiter“ (1974) stellt ein recht frühes Dokument von politischen Gefangenen dar, die Trennlinien zwischen einzelnen Gefangenengruppen aufzuweichen. Diese programmatische Konzeption beinhaltete den Ansatz, den Gegensatz zwischen politischen und sozialen Gefangenen in der Konfrontation mit dem Justizapparat aufzuheben und eine gemeinsame Grundlage für die Entwicklung einer „revolutionären Gefangenenbewegung“ einzuleiten. Um ein 14 Punkte umfassendes Aktionsprogramm sollten sich die „gefangenen Arbeiter“ gruppieren. Darin wurde u.a. die freie Selbstorganisierung der Gefangenen, eine tarifgerechte Bezahlung der Arbeit im Knast, eine freie Arztwahl, eine Versammlungsfreiheit ohne Bewachung sowie die Abschaffung des Jugendstrafvollzugs und der Bewährung gefordert.

Dieses Aktionsprogramm aus der Feder der Mitbegründerin der RAF verschwand nach dem dritten kollektiven Hungerstreik politischer Gefangener und dem Tod von Holger Meins recht schnell in der Schublade, so dass eine breitere Diskussion über die Aspekte einer Sammlungsbewegung von Gefangenen über „Statusgrenzen“ hinweg ausblieb. Ein Fehler.

Gedankenspielerei um eine Gefangenen-Union

Die seit 2005 bestehende Interessenvertretung Inhaftierter (Iv.l) ist als ein selbstorganisierter Kreis von agilen Gefangenen aktuell der einzige Ausdruck einer Organisierung hinter Gittern. Deren Reichweite ist aber bislang deshalb arg begrenzt, weil die Iv.l zu wenigen Gefangenen bekannt ist. Es liegt an den engagierten Gefangenen, bspw. den Anhang der Iv.l durch eine einfache Bekanntmachung zu erweitern. In diesem Zusammenhang ist auszuloten, inwiefern sich diese Vertretungsform von und für Gefangene zu einer entschieden auftretenden basisgewerkschaftlichen Initiative ausbauen lässt.

Die Projekt-Idee einer Gefangenen-Union tendiert in eine ähnliche Richtung. Der Versuch der praktischen Umsetzung einer basisgewerkschaftlichen Selbstorganisierung, die nicht von der sog. Gefangenenmitverantwortung gedeckt ist, dockt an Überlegungen aus den 1980er Jahren an, die allerdings das (folgenlose) Entwicklungsstadium nicht verlassen haben. Trotz dieses frühzeitigen Versackens dieser Versuchsprojekte kann es nur hilfreich sein, die damaligen Erfahrungswerte zusammenzutragen, um nach allfälligen Anknüpfungspunkten zu suchen.

Der Knast ist seitens der Inhaftierten bislang ein gewerkschaftsfreier Raum; ein Raum, in dem selbst dass nach bürgerrechtsstaatlichen Kriterien garantierte Koalitionsrecht außer Kraft gesetzt scheint. Aufgrund dieser nicht existenten basisgewerkschaftlichen Selbstorganisierung für Gefangene fällt ein wesentlicher Schutzraum und Aktionssektor weg.

Die Verwirklichung dieses Unionsgedankens steht und fällt damit, ob es von den beiden klassenkämpferischen basisgewerkschaftlichen Dachverbänden, der Freien Arbeiterinnen-Union (FAU) und der Industrial Workers of the World (IWW), ein erklärtes Interesse gibt, eine Sektion von sich selbstorganisierenden Inhaftierten aufzumachen. Die in den vergangenen Jahrzehnten gemachten Erfahrungen mit den Einzelgewerkschaften des DGB zeigen, dass Menschen, die sich auf den untersten Stufen der Sozial-Skala befinden, in der sozial- und christdemokratisch dominierten sog. Einheitsgewerkschaft keine Betätigungsmöglichkeiten finden.

In der Konzeption einer Gefangenen-Union müssen meiner Ansicht nach von Beginn an innerhalb und außerhalb der Knastanlagen feste Standbeine vorhanden sein, damit eine derartige Initiative von einem tragfähigen Fundament aus die ersten Schritte unternehmen kann.

Es ist nicht wegzureden, dass das knastspezifische Standbein einzelne Gefangenengruppen nicht umfassen kann. Dieser Ausschluss steht einem Ansatz einer alle Inhaftierten einschließenden Gefangenen-Union entgegen. Stimmt, aber es ist nicht vermittelbar, bspw. notorische NSIerlnnen oder Pädophile in einem solchen Projekt agieren zu lassen.

Zu besprechen ist, inwiefern die geringen personellen und infrastrukturellen Kapazitäten, die sich auf diverse JVAs sowie Anti-Knast-Gruppen und Solidaritäts- bzw. Antirepressionsorganisationen verteilen, zusammengelegt werden sollten, um abgestimmter und gemeinsamer auf der öffentlichen Bildfläche zu erscheinen. Dies könnte zu einer Stärkung und Vertiefung bestehender Strukturen und Projekt-Ideen führen, die dann auch den nötigen Background hätten, um dem Gegenwind, der aus den Anstaltsstuben wehen wird, standhalten zu können.

Denkbar ist aber auch, nach einer Zäsur einen Neuanfang unter festzulegenden variierten Vorzeichen zu wagen, der sich auf die angeführten und vermuteten Erfahrungswerte stützen kann.

Einschub: Ringvereine als beispielhafte Vorlage?

Der „Reichsverein ehemaliger Strafgefangener“ gründete sich 1890 in Berlin. Bekannter sind die sich in dessen Nachfolgerschaft sehenden sog. Ringvereine, die vor allem in den berühmt-berüchtigten „Goldenen 1920er Jahren“ ihren Höhepunkt erreichten.

Zu den Zulassungsbedingungen und Aufnahmekriterien dieser „Verbrechersyndikate“ gehörte eine mindestens zweijährige abgesessene Zuchthausstrafe, die durch die Entlassungspapiere zu dokumentieren war. In den Ringvereinen sammelten sich die bevorzugten „Berufsgruppen“ des (organisierten) Verbrechens wie Hehler, Diebe, Schränker, Einbrecher. „Bewerbern“, in deren Strafregistern Mord oder sexualisierte Gewalt notiert waren, wurde eine Mitgliedschaft versagt.

Die Ringvereine formulierten in ihren offiziellen Statuten als unverdächtige Vereinsschwerpunkte die Förderung von Freundschaft und Geselligkeit. Festgehalten wurde ausdrücklich, dass »[j]egliche politischen und konfessionellen Bestrebungen ausgeschlossen [sind].“ Politische Meinung und religiöse Orientierung hatten im Verbandsgeschehen folglich vor der Türe zu bleiben.

Hinter dieser Außenfassade wurde hingegen Tacheles gesprochen. In den vom Vorsitzenden eines Ringvereins dem Neumitglied lediglich mündlich vorgetragenen „Geheimstatuten“ sollen Zeitzeugen zufolge die eigentlichen Interessen zur Sprache gekommen sein. Ganz oben auf der Agenda stand demnach die interessengeleitete ökonomische Einflussnahme in Staat und Gesellschaft. Das karnevaleske Aufnahmezeremoniell mit Frack und Zylinder sowie die Übergabe der Vereinsnadel und des Siegelrings beschlossen den „brüderlichen Bund fürs Leben“.

Der Ehrenkodex, der u.a. eine unbedingte Verschwiegenheit von jedem Mitglied einforderte, schaffte die Basis des innigen Zusammenhalts der „Ringbrüder“ untereinander. Diese Zusammengehörigkeit hatte sich vor allem während der Inhaftierung eines Mitglieds eines Ringvereins zu beweisen. Nicht nur die intensive freundschaftliche Betreuung des gefangenen Mitglieds, seine materielle und finanzielle Absicherung im Knast, sondern auch die Rundum-Versorgung seiner Familie galten als Selbstverständlichkeit.

Die einzelnen Ringvereine agierten kiez- bzw. bezirksbezogen. Der 1898 als Dachverband aus der Taufe gehobene „Ring Berlin“ koordinierte die zehn einflussreichsten und mitgliederstärksten Ringvereine (u.a. „Immertreu“, „Libelle“, „Glaube-Liebe-Hoffnung“), die jeweils über örtliche Vereinslokale und überörtliche Verkehrslokale verfügten. Letztere fungierten als eine Art Begegnungsstätte und Austauschbörse von Tipps und Tricks im „Ganovenhandwerk“.

Wie in früheren Zeiten entwickelte sich aus dem Rotwelsch ein typischer Soziolekt innerhalb der Ringvereinszusammenhänge, der eine für Außenstehende unverständliche Kommunikation ermöglichen sollte. Mundart und Zeichensprache wurden demgemäß zu einem Identitätsmerkmal der Angehörigen in den Ringvereinen.

Zu den widersprüchlichen Seiten der Ringvereine zählt, dass diese innerhalb des „kriminellen Milieus“ eine gewisse Ordnungsfunktion übernahmen und bspw. den Aktionsradius der von ihnen als „Ratten“ betitelten Parallelstrukturen eindämmten. Diesen im „Freien Bund“ locker strukturierten „Rattenvereinen“ wurde nicht nur ein „stilloses“ Verbrechertum und zahlreiche Verstöße gegen die „Ganovenehre“ zum Verhängnis, sondern auch ihre simple Konkurrenz zu den (gesellschaftlich) etablierten Ringvereinen. Revierkämpfe waren die Folge, die handfest ausgetragen wurden, um das Terrain entsprechend abzustecken.

Mit der Machtübertragung an die Nazis wurden die Ringvereine zum 1. Januar 1934 für aufgelöst erklärt. Das gleichzeitige Inkrafttreten des bis heute bestehenden Gesetzes zur sog. Sicherungsverwahrung wurde insbesondere auf die Mitglieder der Ringvereine angewendet. Viele von ihnen fanden sich im KZ-Lagersystem der Nazis wieder.

Eine Reorganisierung der (Sub-)Kultur der Ringvereine nach 1945 scheiterte recht kläglich, so dass ein direkter Anschluss an ein traditionsbeladenes Syndikatswesen sozusagen zeitig bankrott ging.

Es ist eine Gratwanderung, nach Elementen aus dem Spektrum der Ringvereine zu suchen, die für Linksradikale als „anschlussfähig“ gelten können. Eine Handreichung ist in Vielem bestenfalls fragwürdig. Auch auf die reelle Gefahr hin, aus dem „eigenen Stall“ Dresche zu beziehen, verweigere ich allerdings nicht blindlings jede „Kontaktaufnahme“. Vielleicht erinnern sich einzelne Genossinnen und Kolleginnen an die vormaligen Verbindungen zwischen (Klein-)Kriminellen, Haschrebellen und der (späteren) Bewegung 2. Juni Anfang der 1970er Jahre auf der Insel Westberlin. Ich meine, dass es überaus negativere Anschlusspunkte gibt als diesen …

Aber nochmals zu den Einschränkungen: In jeder oberflächlichen Darstellung der Ringvereine liegen Momente einer Romantisierung und Idealisierung. So auch hier. Die Ringvereine werden meinerseits auch nicht als das „Musterbeispiel“ eines Zweiges solider Berufsverbrecher angeführt. Indes findet sich in ihnen ein Regelwerk, welches auf Gradlinigkeit und Ehrlichkeit im „Innenverhältnis“ setzt, an das aus meiner Sicht heutige Akteurinnen aus der „Gangsterwelt“ anzuknüpfen hätten. Unsere Endabsicht kann nur darin bestehen, eine Mentalität des Gemeinschaftsgeistes innerhalb der (groß-)städtischen Freibeuterei mit Nachdruck durchzusetzen, um das nach innen gerichtete Rivalisieren zu entschärfen.

Mir ist darüber hinaus vollauf bewusst, dass die Folie der Ringvereine noch nicht mit einem Verständnis eines „sozialen Banditentums“ deckungsgleich ist, wie wir es zum Beispiel in der Person einer Phoolan Devi verkörpert sehen dürfen.

Zu den Ambivalenzen gehört schlussendlich, dass eine Verschränkung von mafiosen Milieus mit staatlichen Stellen ebenso typisch ist wie eine „kriminelle“ Selbstversorgungsstruktur als „Solidargemeinschaft“, die aus der klassenspezifischen Unterprivilegiertheit der Beteiligten resultiert.

„Kriminelle“ bilden einerseits ein Reservoir für paramilitärische, faschistoide Strukturen, andererseits können sie sich als Umfeld von Rebellenstrukturen nicht nur einen sozialen Anstrich geben, sondern vor allem auf die richtige Seite der Barrikade schreiten.

Von der Internationalen Roten Hilfe (IRH) zur rote hilfe international (rhi) – Ansätze einer politischen Gefangenenbewegung

Die seit 2000 existierende Kommission für den Aufbau der roten hilfe international (rhi) orientiert sich an der Internationalen Roten Hilfe (IRH). Die IRH, die zwischen 1922 und 1943 wirkte, konnte in der Zeit ihres Bestehens u.a. durch die Anprangerung der rassistischen Klassenjustiz in den USA oder die Unterstützung der Verfolgten des weißen Terrors in China und der repressierten proletarischen Bewegung in Bulgarien Höhepunkte der internationalen Solidarität setzen.

Klassensolidarität und Einheitsfront in der Politik der IRH

In der Phase nach dem ersten imperialistischen Weltkrieg grassierte im Anschluss des emanzipatorischen Aufbruchs für eine sozialistische Transformation der Gesellschaft insbesondere in den kriegsbeteiligten Staaten eine reaktionäre Gegenwelle. Vor diesem Hintergrund schien die Etablierung einer effektiven kampagnen- und interventionsfähigen sowie international agierenden Solidaritäts- und Massenorganisation eine existenzielle Voraussetzung, um den politischen Gestaltungsraum nicht nur zu verteidigen, sondern diesen sukzessive auszuweiten.

Auf dem IV. Kongress der Kommunistischen Internationale (Kl), der Ende 1922 zusammenkam, wurde die Gründung der IRH als einer transnationalen und parteiübergreifenden Organisation der proletarischen Klassensolidarität verkündet. Als offizielles Gründungsdatum der IRH wurde der 18. März, der Jahrestag der Pariser Kommune, gewählt.

Die IRH als Organisation einer (revolutionären und proletarischen) Einheitsfrontpolitik kann als ein bedeutendes Beispiel der (aktiven) Solidarität mit den proletarischen, revolutionären und politischen Gefangenen in allen Erdwinkeln betrachtet werden. Von den Leitungsgremien und Aktivistinnen der IRH wurde viel Wert darauf gelegt, dass die IRH nicht mit einer „philanthropischen Hilfsorganisation“ verwechselt werden konnte.

Der erste Paragraf des im 1928 angenommenen IRH-Statuts gibt den Entstehungshintergrund und die politisch-ideologische Grundausrichtung der IRH wieder. Danach „[ist] das Entstehen und Wirken der IRH eng mit den von den ausgebeuteten Klassen und unterdrückten Völkern gegen die kapitalistische Willkürherrschaft geführten Befreiungskämpfen verbunden.“ Statuarisch wurde verankert, dass „die RH unbeschadet ihrer Überparteilichkeit eine ausgesprochene Klassenorganisation [ist].“ Präzisierend heißt es im dritten Statuts-Paragrafen, dass „[di]e IRH eine selbständige überparteiliche Massenorganisation der Werktätigen aller Länder von Stadt und Land [ist].“ Eine parteipolitische Engführung sollte danach von Beginn an vermieden werden, ohne allerdings den klassenspezifischen Standort zu verleugnen.

Zum Zweck der IRH wurde in dem Statut des Weiteren „die Unterstützung der Opfer des Klassenkampfes und der internationalen Befreiungsbewegung der Werktätigen in allen kapitalistischen, kolonialen und halbkolonialen Ländern, unabhängig ihrer Partei- und Organisationszugehörigkeit“ festgeschrieben. Die IRH gewährt allen aufgrund ihrer revolutionären Tätigkeit Verfolgten und deren Angehörigen „politische, moralische, juristische und materielle Hilfe.“ Die IRH „führt“, so die engagierte Position, „einen ständigen Kampf gegen den weißen Terror, gegen den Faschismus, gegen die bürgerliche Klassenjustiz, gegen das Lynchen, für das Asylrecht der politischen Flüchtlinge.“

Kennzeichnend für die Politik der IRH war das Schwanken zwischen einer laut intonierten Einheitsfrontagitation und der Propagierung der sog. Sozialfaschismus-These. Einerseits ging es darum, „die bisher noch abseits stehenden, insbesondere auch die sozialdemokratischen, Arbeiter sowie die um die Arbeiter- und Bauernorganisationen sich gruppierenden werktätigen Massen zu gewinnen“. Andererseits musste die Rhetorik gegen die „sozialfaschistischen Umtriebe“, wonach die Sozialdemokratie als „größter ideologischer Feind“ klassifiziert wurde, abschreckend auf die sozialdemokratischen und nicht parteigebundenen Proletarierinnen wirken.

Hier bewegte sich die IRH ganz im Rhythmus der Kl-Politik, die spätestens ab 1928 wiederum von den taktischen Kurswechseln des „sozialpatriotischen Revisionismus“ des Stalinschen Bürokratismus abhängig war.

Moniert wurde in einer vom 3. Plenum des Exekutivkomitees der IRH formulierten Zwischenbilanz aus dem Jahre 1931, dass die organisatorischen Schwächen, die sich in der mangelnden Heranbildung von Kadern und der Beibehaltung eines „vereinsmäßigen Charakters“ einzelner IRH-Sektionen niederschlugen, nicht abgelegt werden konnten.

Dennoch konnte die IRH zu Hunderten nationalen und internationalen, breit angelegte Antirepressionskampagnen aufrufen und Kooperationen der proletarischen Klassensolidarität u.a. mit der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) von Willi Münzenberg eingehen.

Die rhi als Nukleus für politische Gefangene weltweit

Der Vorlauf der rhi geht auf eine Initiative der politischen Gefangenen aus den Kämpfenden Kommunistischen Zellen (CCC) und deren Angehörigenorganisation APAPC zurück. 95 kommunistische, anarchistische, antifaschistische und antiimperialistische Gefangene aus verschiedenen europäischen Ländern bildeten die „Plattform des 19. Juni 1999″, mit der Eckpunkte für revolutionäre (Langzeit-)Gefangene formuliert wurden. Bestandteile dieses Eckpunktekatalogs waren u.a. die Freilassung der haftunfähigen Gefangenen, die materielle Unterstützung der Gefangenen und eine aktive internationale Solidarität im Rahmen von Gefangenenkämpfen (z.B. Hungerstreiks). Des Weiteren erfolgte eine Fixierung der Leitlinien der Gefangenen-Plattform, die u.a. das Solidaritätsprinzip („Solidarität ist eine Waffe“, „Ein Angriff gegen eine/n von uns ist ein Angriff gegen uns alle!“), das Revolutionsprinzip („Man hat das Recht zur Revolte!“, „Ohne Gerechtigkeit kein Friede!“) und das Prinzip der politischen Unbeugsamkeit („Weder Reue noch Kapitulation!“) in den Vordergrund stellten.

Die Konstituierung der Kommission für den Aufbau der roten hilfe international (rhi) wäre ohne den Beitrag der ehemaligen CCC-Gefangenen und der „Plattform des 19. Juni 1999″ kaum zustande gekommen.

Es ist leider häufiger zu beobachten, dass die Tatkraft, die bei Aktivistinnen und Solidarischen durch eine Aufwärtsbewegung im Antirepressionskampf ausgelöst wird, eher durch Vorgänge im Innern als durch Interventionen von außen blockiert wird. Der rhi-Auftakt blieb von solch einer Entwicklung gleichfalls nicht verschont.

Aufgrund eines politischen Zerwürfnisses zwischen revolutionären Organisationen aus dem spanischen Staat und Italien, wurde das rhi-Projekt in der Anfangsphase zurückgeworfen. Wenn die Austragung ideologischer Konflikte verschiedener Parteiorganismen auf deren Solidaritäts- und Antirepressionsstrukturen, die sich am Aufbauprozess der rhi beteiligt haben, übertragen wird, dann droht eine Zerreißprobe. Letztlich konnte diese konflikthafte Situation durchgestanden und überwunden werden.

Als eine Folge der Anfang Juli letzten Jahres gestarteten rhi-Kampagne für den libanesischen kommunistischen Langzeitgefangenen Georges Ibrahim Abdallah verbreitete das Internationale Sekretariat der rhi elnen „Vorschlag der Kommission für eine RHI“, der die Wegmarken der rhi-Politik prägnant auf den Punkt zu bringen versucht. Hiernach ist das Konzept einer internationale[n] und revolutionäre[n] Solidarität“, die sich Spektren- und positionsübergreifend aufbaut, als ein wesentliches Element einer „revolutionären internationalen Bewegung“ anzusehen. Dabei „[beinhaltet] [d]er Handlungsradius alle Formen der politischen Repression“.

In der Konzeption der rhi wird den gefangenen Genossinnen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Ausdrücklich wird von der rhi-Kommission erklärt, dass „[…] [wir] die revolutionären Gefangenen als kämpfenden und wertvollen Teil der revolutionären Bewegung mit ein[beziehen].“ Und vor dem Hintergrund der Solidaritätskampagne für Abdallah wird optimistisch betont: „Wir denken, dass die Bedingungen für einen Prozess der Zusammenführung der Kämpfe der revolutionären Gefangenen gekommen sind.“

So sympathisch und motivierend dieser Passus auch ist, gegenläufige Tendenzen können dem erwarteten (Zwischen-)Hoch im Prozess des Aufbaus der rhi einen Rückschlag erteilen. Wir unterliegen als radikale Linke zu regelmäßig der Versuchung, Situationen für die Umsetzung bestimmter Projekte für reifer zu halten als sie tatsächlich sind.

Ich halte es in diesem Kontext für unabdingbar, eine Diskussion über den Zustand des baskischen Gefangenenkollektivs zu führen, das sich offensichtlich fast geschlossen in einer Reuebekundung erging, um Aktivitäten aus dem Befreiungskampf für Unabhängigkeit und Sozialismus in Euskadi nachträglich zu denunzieren. Wir sollten nicht davor zurückschrecken, uns mit diesem „Sachverhalt“ des zahlenmäßig größten Kollektivs politischer Gefangener in Westeuropa zu befassen. Vor allem dann nicht, wenn es um eine nachhaltige Stärkung an der politischen Gefangenenfront gehen soll.

Die politische Gefangenschaft ist ein Ausdruck der Existenz einer Fundamentalopposition, die sich phasenweise offensiv gegenüber den herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse zeigt. Es liegt in der Funktion der Repressionsorgane des bürgerlichen Klassenstaates, bereits Anzeichen eines Nährbodens eines sich organisierenden radikalen Milieus trockenzulegen. Allein hieraus ist „[d]ie Notwendigkeit der Einheit gegenüber der bürgerlichen Repression“ zu folgern, wie es in dem rhi-Vorschlag richtig heißt. Die Abwehr staatlicher Repression ist in den Kampf für eine gänzliche Umwälzung der herrschenden Verhältnisse eingeschlossen. In dieser Wechselwirkung agieren politische Gefangene als „Bewegungssplitter“ der radikalen Linken.

Die Schnittmengen einer politischen und rebellischen Gefangenenbewegung

Ich gehe davon aus, dass eine objektiv feststellbare und unterscheidbare „zwei-Linien-Gefangenenbewegung-in-spe“ modellhaft skizziert werden kann. D.h., dass wir nicht eine uniforme Gefangenenbewegung herbeiphantasieren können. Eine partielle Zusammenführung der beiden Linien tritt unter Umständen schrittweise ein und konkretisiert sich in der Kenntnis aufzuhebender Widersprüche.

Eine rebellisch-politische Zangenbewegung?

Ich weiß nicht genau, ob das folgende krisentheoretisch untermalte Szenario im Realen prinzipiell in der radikalen Linken willkommen ist: Ein Aufschwung des Wechselspiels zwischen drinnen & draußen ist dann in Sicht, wenn sich soziale Proteste „vermassen“, an Radikalität gewinnen und zur direkten Fehde mit dem System führen. Bis hierin ist wahrscheinlich noch alles in Ordnung. Ein zu erwartender energischer staatlicher Verfolgungsdruck würde in einer derartigen Bedrohungslage u.a. vermehrt politische und rebellische Gefangene „produzieren“. Hier wird’s dann schon kritischer. In der Regel zieht im Windschatten der Revolte eine Politisierung nach, die auch vor hohen (Knast-)Mauern nicht haltmacht.

Das ist nicht mehr als eine Hoffnung.

Im Grunde ist damit wenigstens indirekt unterstellt, dass erst im Sog einer „Frischzellenkur“, ausgelöst durch eine neue Generation hochpolitisierter Gefangener, eine „Besserung“ hüben wie drüben zu erwarten ist.

Im Idealfall, um weiter zu spinnen, entwickelt sich die Aussicht einer „doppelten Zangenbewegung“: rebellische und politische Gefangene agieren zusammen an neuralgischen Punkten innerhalb der Knastareale und die jeweiligen unterstützenden und solidarischen Strukturen und Komitees flankieren die Aktivitäten außerhalb der Knast-Enklaven. Bislang schieres Wunschdenken – ich weiß.

Das Feld des Antirepressionskampfes, was den expliziten Anti-Knast-Kampf mit einschließt, bietet sich als eines der wenigen an, auf dem der Organisationsegoismus und ideologische Dogmatismus zurückgefahren werden können. Eine positions- und spektrenübergreifende „Einheitsfront“ ist am ehesten auf diesem Feld zu erwarten, was durch die Erfahrungen im Rahmen von Mobilisierungen gegen staatliche Repression belegt sein dürfte.

Der Begriff „Einheitsfront“, der für viele (?) ein antiquiert anmutendes Schlagwort ist, ist im Sinne einer Aktionseinheit durchaus positiv zu besetzen. Denn über diese praktische Einheit lässt sich ein Unionsgedanke ausbilden, der eventuell über das Antirepressionsfeld hinaus Einzug in linke und linksradikale Themenbereiche halten kann.

Man wird schauen müssen, welche Anziehungs- und Abstoßungseffekte eintreten, wenn ein gemeinsamer Weg an mobilisierungsträchtigen Punkten beschriften wird. Aber auch das ist zunächst nur blauer Dunst, sprich reine Theorie.

Zu einem illusionslosen Umgang mit dieser gesamten Organisierungsthematik politischer Gefangener und solidarischer Genossinnen und Kolleginnen hinter und vor der Knastmauer gehört zweierlei, was schlicht und einfach zu realisieren ist: im Gegensatz zu früheren Abschnitten der Knast(kampf)geschichte bestehen keine Kollektivstrukturen politischer Gefangener in der BRD. Angehörige der migrantischen Linken, die vorrangig nach §129b (Mitgliedschaft in einer sog. ausländischen terroristischen Vereinigung) abgeurteilt wurden, werden in der überwiegenden Mehrzahl entweder der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) oder der Revolutionären Volksbefreiungspartei/-Front (DHKP-C) zugerechnet. Diese migrantischen politischen Gefangenen, hierzulande etwa einige wenige Dutzend, treten in der Haft nicht kollektiv auf und werden über Unterstützerinnen-Komitees (z.B. Azadi) oder die Rote Hilfe e.V. materiell und ideell getragen.

Die zumeist keine Handvoll zählenden nicht-migrantischen Linken in der Haft stellen im Vergleich zur Gesamtpopulation der Insassen ein „Unikum“ dar. Auch sie agieren nicht in einem wie auch immer gesetzten kollektiven Rahmen, sondern äußern sich als inhaftierte politische Aktivistinnen einzeln u.a. über schriftliche Wortmeldungen. Eine hörbare Stimme erhalten sie im Einzelfalle über Soli-Komitees, die sich in der Hauptsache um die aktive Unterstützung der „persönlich-politischen Belange“ des/der Inhaftierten bemühen.

Die Lage der rebellischen (Langzeit-)Gefangenen zeigt sich keinesfalls rosiger. Die soliden Berufsverbrecherinnen, die der (nicht nur literarischen) Figur der Sozialbanditln am nächsten kommen, bilden ein versiegendes Reservoir der Inhaftierten. Andere Gefangenengruppen (BTMerlnnen, „kleinkriminelle“ Kurzstrafer) haben dieser Klientel rein zahlenmäßig längst den Rang abgelaufen. Diese Umgruppierung bleibt natürlich nicht folgenlos, wenn die „Klassiker-Gilde“ (Schwarzenberger) mehr ein Relikt der Vergangenheit in den Knasten ist, als einen lebendigen Faktor hinter Wachturm, Mauer und Nato-Draht darstellt.

Von einer kritischen Außenperspektive ausgehend, bildet eine interne Gefangenenorganisierung zuvorderst eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe“. Unter den Bedingungen des Knastregimes ist aber eine organisierte Selbsthilfe, die sich kleinteilig im Anstaltsalltag darbietet, nicht wertlos. Allerdings berührt eine solche organisatorische Ausrichtung noch nicht eine Infragestellung des Knastes an und für sich.

Nach der Betrachtung des aktuellen Standes hinter Gittern ist es angezeigt, den anvisierten Bewegungscharakter innerhalb der Knastanlagen zu relativieren, denn es dürfte angemessener sein, allenfalls von bewegungsähnlichen Tendenzen zu sprechen. Die Zahlen sind eindeutig: Wenn wir statistisch von etwa 70.000 Gefangenen in den Strafhäusern der BRD ausgehen, dann orientieren wir uns auf einen interessierbaren und unter Umständen mobilisierbaren Bestand von einigen wenigen Hundert Inhaftierten.

Was steht zur Themenwahl?

Die Frage ist nun, an welchen thematischen Strängen sich entlang zu hangeln ist, um ein Zusammenkommen rebellischer und politischer Gefangener zu versuchen. Wir können auf der Suche nach den Schnittstellen durchaus fündig werden. Zwei Überschneidungspunkte fallen sofort auf: zum einen sind die Arbeitsverhältnisse in den Knastanstalten anzugehen. Die lächerliche Entlohnung, die Ausklammerung vom allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, das Produzieren für auswärtige Konzerne bis hin zur Missachtung von Arbeitsschutzrichtlinien – alles das liegt unbearbeitet vor uns. Zum anderen eröffnet sich ein weiter Bereich der permanenten Anstaltswillkür gegenüber den Inhaftierten, die zu skandalisieren und zu denunzieren ist. Die zahlreichen Dokumentationen, die seitens der Iv.l seit Jahren vorgenommen werden, liefern ausreichend Material, um sich hier auch juristisch abgesichert einmischen zu können. Also: An diesen beiden Strängen ist beispielhaft gemeinsam zu ziehen, um Verknüpfungspunkte herzustellen.

Welche Schlussfolgerungen sind weiterhin zu riskieren, wenn wir uns die spezifischen Gegebenheiten in den bundesdeutschen Knasten vergegenwärtigen? Auch hier ist wieder von beiden Linien auszugehen: Was die soziale Gefangenschaft in der BRD betrifft, ist der Fokus auf das (schwindende) Potential der „Klassiker-Gilde“ zu legen. Bei jenem ist am ehesten zu vermuten, „Restexemplare“ von „Sozialbanditlnnen“ aufzuspüren.

Was die politische Gefangenschaft in der BRD betrifft, ist der Fokus auf §129b-Gefangene aus der migrantischen Linken zu legen. Sie stellen zum einen die Mehrzahl inhaftierter politischer Aktivistinnen dar, und sie sind zum anderen einem System des institutionellen Rassismus ausgesetzt, der zudem auf die Zerschlagung fortschriftlicher Exilstrukturen zielt.

Berechtigterweise ist der Einwand vorzubringen, dass an dieser Stelle eine „avantgardistische Rolle“ für rebellische (Langzeit-)Gefangene und politische Gefangene reklamiert wird. Damit geht einher, aus der Gefangenenmasse zwei kleine Segmente von (vermeintlichen) Protagonistinnen herauszubrechen.

Dieser situationsbedingte „Sonderstatus“ ermöglicht diesen Gefangenen, falls sie denn diese „Rolle“ annehmen, moderierend und organisierend im Knastalltag aufzutreten, ohne dabei die Marotten eines Höhergestellten anzunehmen. Ein Vorteil des „sozialen Lebens“ im Knastalltag ist, dass „Überflieger“, zumal wenn sie ohne größere Rückendeckung sind, sehr zeitnah auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen, was sich in der Regel als lehrreich erweist.

Wo liegen letztlich die Hinderungsgründe für die Nicht-Existenz einer Gefangenenbewegung und eines (breiten) solidarischen Umfeldes, die sich „drinnen & draußen“ ausdrucksvoll in Szene setzen könnten? Die Fragmentierung innerhalb der Gefangenen-Population, die in den Knasten leicht feststellbar ist, ist – oh, Überraschung! – gleichfalls in den Solidaritäts- und Antirepressionsgruppen zu finden. Es ist eine dreifache Vermittlungsübung erforderlich: Erstens muss innerhalb der Gefangenenschaft aus dem Inneren heraus die Notwendigkeit des Zusammenkommens erkannt werden; zweitens muss außerhalb der Knäste ein vermehrtes Interesse an der (politischen und rebellischen) Gefangenenfrage wahrzunehmen sein, und drittens muss zwischen den Akteurlnnen drinnen und draußen ein gegenseitiger Austausch stattfinden.

Vielfältige Vermittlungs- und Übertragungsfehler sind da wohl kaum auszuschließen, sondern eher anzunehmen. Die vorgeschlagenen Interventionsfelder der Knastarbeit und der Anstaltswillkür können aber gleichzeitig gute Übungsfelder des Zusammenkommens abgeben …

Zu guter Letzt braucht es ein Sprachrohr für eine derartige Fusionierung von Interessenlagen sozialer und politischer Gefangener. Nach Möglichkeit ist ein publizistisches Forum zu kreieren, das einerseits über einen hohen Verbreitungsgrad verfügt und andererseits einen Meinungspluralismus zulässt. Öffnen das Gefangenen Info (Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen), die Entfesselt (Anarchist Black Cross) und nicht zuletzt die Rote Hilfe Zeitung (Rote Hilfe e.V.) ihre Spalten für eine solche kontroverse Diskussionsrunde?

Einschub: Einheit im Knast?

Ich möchte einen weiteren kleinen Einschub platzieren, in dem die auftauchenden Fragezeichen gebündelt werden sollen. Es wäre nicht redlich, euch und mich vorher zu entlassen …

Warum sollte ausgerechnet der Knast ein Ort von Einheit sein? Ja, warum eigentlich? Liegt nicht vielmehr ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler der „Einheits-Idee“ allein schon darin, im fast ausnahmslos überwachten Mikrokosmos Knast Chancen von einheitlichem Handeln bei jenen erblicken zu wollen, die sich zu fügen und nicht zu regen haben? Und muss nicht aufgrund dieses Ur-Fehlers jeder weitere Schritt notwendigerweise ein fehlerhafter sein? Kann im Ergebnis etwas anderes stehen als: Irrweg – Organisierung fehlgeschlagen? Das Hauptinteresse aller (?) Inhaftierten liegt darin, den Knast möglichst schnell hinter sich lassen zu können, den Vollzug flott über die Bühne zu kriegen. Eins ist klar: Rebelllnnentum in den Kerkern beschleunigt die Realisierung dieses Vorhabens mit keiner Sekunde. „Terminende“, d.h. Endstrafe wartet auf die Knast-Rebellinnen …

Um eine Einheit zu schaffen, sollte es eine vorteilhafte Voraussetzung sein, weitgehend frei zu sein. (Von der doppelfreien Lohnabhängigkeit hier und heute einmal abgesehen.) Denn eine zwanglose und in dem Sinne freiwillige Zusammenführung von Menschen dürfte sich als stabiler erweisen, als wenn die „akute Notlage“ der Verknastung vorliegt.

Als plumpe Lebensweisheit können wir festhalten: Einheit zwischen zwar nicht gegensätzlichen, aber nun auch nicht identischen Tendenzen herstellen zu wollen ist eh schon in einem Leben kompliziert, in dem man nicht unter einem Haftstatut steht. Unter Haftbedingungen stellt sich die Konstellation ungleich vertrackter dar.

Im Hinterkopf haben wir zu behalten, dass wir auch zu dem ernüchternden Schluss kommen können, dass da zwei Dinge im Debattenraum stehen, Ansätze einer politischen und rebellischen Gefangenenbewegungstendenz, die unterm Strich nicht zusammenkommen werden. Fallstricke und Hindernisse wurden hinreichend aufgezählt.

Die Knast(kampf)geschichte und Tradition von Knastrevolten ist in der Rückschau keine Kette von kleineren, mittleren und größeren Erfolgsgeschichten, die sich nahtlos aneinanderreihen. Sie ist aber ebenso wenig eindimensional eine Ansammlung von drastischen Niederlagenserien. Sie ist voll von animierenden Widerstandsmomenten und ausgedehnteren Kampfetappen – was ermutigend sein sollte Wir können uns drehen und wenden wie wir wollen: staatliche Repression ist ein Kontinuum und wird uns als radikale Linke periodisch ereilen, solange wir einen (aktiven) Kontrapunkt zum realexistierenden Dreigestirn „Krise, Krieg und Kapitalismus“ zu setzen verstehen. Knast kommt und wird auch wieder vergehen; bis sich der Zeitenwechsel ankündigt und (!) durchsetzt…

Schlusswort

Als politische Gefangene haben wir einen realistischen Blick auf unsere eigene (Knast-)Situation zu werfen. Uns sind sprichwörtlich weitgehend die Hände gebunden. Unser Tun ist allenfalls symbolisch und punktuell. Soweit ist alles richtig.

Mit unseren Wortmeldungen und Texteinwürfen haben wir aber immerhin die Option in der Hand, den Sensibilisierungsgrad gegenüber einzelnen sich zuspitzenden Entwicklungen in den internationalen Knastindustrien zu erhöhen. Ich habe den Eindruck, dass das insgesamt von gefangenen Genossinnen in der BRD zu wenig passiert.

Zwei „aktuelle Fälle“ will ich erneut in den Vordergrund schieben: In den kommenden Wochen erwarten die rebellischen und politischen Gefangenen in den griechischen Knästen ihre zwangsweise Verlegung in die sog. C-Typ-lsolationstrakte. Die Vorboten kündigen sich bereits jetzt an. Hiergegen wird sich eine knastinterne spekrenübergreifende Front aufbauen, in der sich u.a. kommunistische und anarchistische Gefangene koordinieren werden. Im Rahmen dessen, was umsetzbar ist: Solidarisiert euch!

Seit einem dreiviertel Jahr unterliegen die beiden Gefangenen aus dem Aufbauprojekt der Kommunistischen Partei – politisch-militärisch (PCp-m) in Italien, Alfredo Davanzo und Vincenzo Sisi, einer totalen Zensur. Die Genossen Davanzo und Sisi haben sich seit ihrer Inhaftierung im Februar 2007 intensiv in die Debatten drinnen & draußen eingebracht bzw. einzelne initiiert. Mit dieser systematischen Unterbindung jeglicher Korrespondenz und Kommunikation sollen die beiden inhaftierten Aktivisten politisch buchstäblich ausgeschaltet werden. Im Rahmen dessen, was umsetzbar ist: Solidarisiert euch!

Glück auf!

Oliver Rast – § 129-Gefangener aus dem mg-Verfahren

Mai 2014