JVA Tegel streitet Antragstellung ab – Gegendarstellung

Pressemitteilung des SKOR

Am Sonntag, den 6.10., veröffentlichten wir einen Aufruf, den inhaftierten Antimilitaristen und Gewerkschafter Oliver R. zu unterstützen, der seit dem 1.10. Vollzeitstudent ist, jedoch nicht von der Knastarbeit befreit wurde. Der Aufruf wurde in der jungen welt vom 7.10. abgedruckt und veranlasste den Journalisten Peter Nowak, selbst zu recherchieren. Das Ergebnis publizierte er in einem Artikel in der taz vom 08.10., außerdem machte er mit dem Soli-Komitee ein Interview, das in der Jungle World vom 16.10. nachzulesen ist. Parallel dazu brachte die Fraktion Bündnis90/Grüne das Thema unter der Fragestellung „Unerwünscht? Unter welchen Voraussetzungen werden Inhaftierte in der JVA Tegel, die ein Fernstudium absolvieren, von der Arbeit freigestellt?“ am 16.10. im Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses ein.

Dass sich die JVA Tegel bei dieser „Aktuellen Viertelstunde“ irgendwie herausreden würde, hatten wir durchaus erwartet und waren auf fadenscheinige Erklärungen gefasst. Doch die Einfältigkeit der Antwort, die dort präsentiert wurde, überstieg unsere kühnsten Vorstellungen: Oliver R. habe trotz mehrfacher Hinweise seitens der JVA gar keinen Antrag auf Befreiung von der Arbeit gestellt!

Eine Darstellung der zahlreichen Anfragen, Anträge und Nachfragen, die Oliver R. in den letzten Wochen und Monaten in die Wege geleitet hat, scheint uns daher angebracht, um zu verdeutlichen, wie diese Anstalt Fakten und Abläufe willkürlich uminterpretiert und – wir haben bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen – so Situationen schafft, in denen Gefangene jeglicher Handlungsmöglichkeiten beraubt werden.

Um so viel vorweg zu nehmen: Der angeblich nie gestellte Antrag auf Zulassung zum Studium wurde am 17.10., innerhalb von nur 24 Stunden, bewilligt. So schnell kann es gehen, wenn ein paar Journalisten und Politiker nachfragen. Wir möchten an dieser Stelle all denen danken, die daran beteiligt waren!

Chronologie einer kafkaesken Odyssee

Anfang Juni erhielt Oliver R. durch die für ihn zuständige Sozialarbeiterin und Gruppenleiterin den Hinweis auf eine Informationsveranstaltung der Fernuni Hagen in der JVA Tegel. Dieser Termin fand noch im Juni statt und führte zu Oliver R.’s Entschluss, sich für ein Studium der Kulturwissenschaften einzuschreiben.

Es folgten weitere Beratungstermine mit einer Vertreterin der Fernuni, im Juli, August und September, bei denen auch der Studienkoordinator der JVA anwesend war. Bei allen diesen Treffen hat R. unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er ein Vollzeitstudium aufnehmen und dazu von der Arbeit befreit werden möchte. Bei der Gelegenheit hat er gefragt, wie er vorzugehen hat, um die Genehmigung zu erhalten. Insgesamt erhält R. in der Zeit von Juli bis September vier verschiedene Versionen darüber, wie der Dienstweg aussehe:

Bei dem Treffen im August sagen zwei Studierende, die bereits von der JVA als Vollzeitstudenten anerkannt waren, es genüge ein etwa dreizeiliger Vormelder an die Arbeitsverwaltung. Dem haben die Bediensteten nicht widersprochen.

Bei dem Treffen im September – Oliver R. war inzwischen seit dem 23. August immatrikuliert – trug der Studienkoordinator vor, die Sozialarbeiterin müsse die Prozedur einleiten, und danach folge ein Gespräch mit dem Studienkoordinator über die Eignung zum Studium. Die zwei Studenten widersprachen, doch das Treffen wurde wegen eines Alarms aufgelöst, so dass es keine Möglichkeit der Klärung gab.

Daraufhin wandte sich R. noch in der ersten Septemberhälfte an die Sozialarbeiterin und bat um Aufklärung. Diese erwiderte, sie könne ohne einen Hinweis des Studienkoordinators, der die Prozedur in Gang bringen müsse, nichts tun. Auf die Frage, was R. denn nun konkret tun könne, riet sie ihm, einen Vormelder mit einer Kopie der Immatrikulationsbescheinigung an den Vizechef der Anstalt zu schreiben, in welchem er die Zulassung seines Studiums sowie die Befreiung von der Arbeitspflicht beantragt.

Genau das hat R. dann getan und diesen Antrag im Stationsbüro abgegeben, wo er in das entsprechende Fach gelegt worden ist. In einem weiteren Gespräch mit der Sozialarbeiterin im September teilte diese ihm mit, dass der Antrag nun bei der Arbeitsverwaltung liege und sie selber bereits versucht habe, nachzufragen.

Im Anschluss an dieses Gespräch setzt R. in Folge drei verschiedene Vormelder an den Studienkoordinator auf:

  1. eine Schilderung der Situation mit dem Hinweis, dass es offenbar einer Initiative seitens des Studienkoordinators bedarf
  2. seinen persönlichen Zugangscode zum Computer für das Studium, damit dieser vom Studienkoordinator freigeschaltet wird,
  3. die dringende Bitte um einen Gesprächstermin, im Hinblick auf die Aufnahme seines Studiums.

Mittlerweile ist es Anfang Oktober, und da Oliver noch immer keine Antwort auf die Anträge hat, bittet er wiederholt Stationsbeamte, den Studienkoordinator an sein Gesuch um einen Gesprächstermin zu erinnern. Beim dritten Nachfragen bekommt er die Antwort, er möge von weiteren Anträgen absehen, da bereits drei Anträge vorlägen und man ihm schon antworten werde, wenn man es für nötig halte. Dies war der Zeitpunkt, da wir als Soli-Komitee beschlossen haben, die Angelegenheit an die Öffentlichkeit weiterzugeben.

Der blanke Hohn

Zu der offensichtlich falschen Behauptung der Anstalt, es habe keinen Antrag gegeben, kommt also die Tatsache, dass die JVA es unterlassen hat, den Gefangenen angemessen zu informieren.

Inkompetenz oder strategische Absicht? Auffällig ist jedenfalls, dass die Sozialarbeiterin/GL bei einem Gespräch am 17.10. – also nach erfolgter Genehmigung – R. überraschend Passagen aus einem Schriftstück vorgelesen hat, in welchem offenbar die genaue Prozedur beschrieben war und aus welchem hervorging, dass sie selbst die richtige Adressatin für den Antrag gewesen wäre. Die Frage, warum diese und andere Bedienstete vorher auf dieses Schriftstück nicht hingewiesen oder aber nichts davon gewusst hatten, wird die Anstalt noch beantworten müssen. Auch dass es Aufgabe der Bediensteten gewesen wäre, das mehrfach formulierte Anliegen ggf. an die richtige Stelle weiterzuleiten, wird von der JVA komplett ignoriert.

Noch heute bleibt die Kompetenzenverteilung zwischen den verschiedenen Stellen undurchsichtig. Auch ist nach dem letzten Informationsstand die Zulassung zum Studium jetzt zwar geklärt worden, doch immer noch ist unklar, wie Oliver R. vorzugehen hat, um von der Arbeit freigestellt zu werden.

Es bleiben also am Ende noch viele Fragen offen. Auch das Thema Knastarbeit ist natürlich nicht aus der Welt, nur weil es sich für Oliver R. vorerst erledigt hat. Dennoch zeigt dieser kleine Erfolg, dass die Knast-Administration nicht ganz so unbekümmert nach eigenem Gutdünken schalten und walten kann, wenn sich jenseits der Mauern ein paar Leute finden, die ihr auf die Finger schauen.

Soli-Komitee Olli R.
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