Die christlich-anarchistische Synthese – eine Rezension

Über libertäre Dimensionen im Christentum informiert ein neuer Sammelband

Sebastian Kalicha (Hg.)
Christlicher Anarchismus. Facetten einer libertären Strömung
Verlag Graswurzelrevolution, 2013, 192 S., € 14,90

Rezension von Oliver Rast

Die ideengeschichtliche Fusion von Christentum und Anarchismus zu einem christlichen Anarchismus erscheint auf den ersten und zweiten Blick höchst widersprüchlich. Es ist erklärungsbedürftig, wie diese beiden, in sich überaus fragmentierten und heterogenen Weltsichten zueinander finden können, denn atheistische Grundlagen sind nach herkömmlicher Sprachregelung für libertäre Bewegungen wesentlich charakteristischer als religiöse.

Diesen Erklärungsversuch hat jüngst der Herausgeber Sebastian Kalicha mit seinem Sammelband „Christlicher Anarchismus. Facetten einer libertären Strömung“ unternommen. Der Band erschien im Verlag Graswurzelrevolution, der die gleichnamige, seit 1972 existierende gewaltfrei-anarchistische Monatszeitschrift „Graswurzelrevolution“ herausbringt. Zur Intention des Buchprojektes schreibt Kalicha, der Mitherausgeber der „Graswurzelrevolution“ ist: „Dieser Sammelband zum christlichen Anarchismus ist als Versuch zu verstehen, einen Eindruck von dieser Bandbreite christlich-anarchistischer Theorie und Praxis zu vermitteln, um so – sowohl aus christlicher als auch aus anarchistischer Sicht – eine neue, alternative Perspektive zu bieten, die althergebrachte und oft wiederholte Verdikte in Frage stellt, möglicherweise relativiert oder gar gänzlich aus dem Weg räumt.“ Dem Herausgeber geht es um eine differenzierte Herangehensweise an die Thematik und den Abbau gegenseitiger Skepsis in einem ,,polemikfreie[n] Diskurs“. Demnach steht nicht die Wiedergabe bekannterer Darstellungen des Anti-Klerikalismus eines Michael Bakunin („Gott und der Staat“) oder Johann Most („Die Gottespest“) im Vordergrund, sondern die Ausgrabung und Freilegung von Momenten einer christlich-anarchistischen Symbiose.

Der knapp 200 Seiten umfassende Band, der Erstveröffentlichungen und übersetzte Texte vereint, enthält einschließlich des einleitenden Beitrags „Dimensionen libertärer Exegese. Reflexionen zum Verhältnis von Anarchismus und Christentum“ des Herausgebers sieben Artikel. Der hier gespannte thematische Bogen ist beschränkt, vermittelt aber einen recht repräsentativen Überblick über anarchistische Sequenzen in der christlichen Lehre. Ein christlicher Anarchismus wird in der Regel mit Leo Tolstoi (1828-1910) personifiziert, auch wenn sich dieser nicht als christlicher Anarchist bezeichnete. Um allerdings das christlich­anarchistische Beziehungsgeflecht in seiner Komplexität erfassen zu können, ist ein Rückgriff auf den „Tolstoianismus“ unzureichend. Dies wurde von dem Herausgeber hinsichtlich der Textauswahl für den Sammelband ausdrücklich bedacht.

Ursprung, Inhalt und Praxis des christlichen Anarchismus

Die Inspirationsquellen des christlichen Anarchismus reichen bis zu den häretischen Ketzerbewegungen des 13. Jahrhunderts zurück, die sich wiederum auf das Urchristentum (die Paulusbriefe, die drei synoptischen Evangelien [das Markus-, Matthäus- und Lukasevangelium] und die Apostelgeschichten) beziehen. Sebastian Kalicha und Gustav Wagner skizzieren in dem Band am Beispiel des „hussitischen Tolstoj“ (Gustav Landauer), Peter Chelcicky (ca. 1390-1460), das Leben und Wirken eines dieser Häretiker. Die „subversive Spiritualität“ (Dave Andrews) des christlichen Anarchismus ist dabei ein zentrales Kennzeichen dieser dissidenten Strömung.

Aufschluss über die wesentlichen Substrate des christlichen Anarchismus will der Herausgeber geben. In seinem Einleitungsbeitrag bemüht sich Kalicha sichtlich, die (nachvollziehbaren) Berührungsängste, die zwischen Christinnen und Anarchistinnen bestehen, abzubauen. Hierbei verweist er darauf, dass es auf beiden Seiten Protagonistinnen gab, die sich für eine gegenseitige Bezugnahme einsetzten. Auf christlicher Seite waren dies bspw. Anhängerinnen des Quäkertums und der Catholic-Worker-Movement oder einzelne Priester bzw. Theologinnen wie z.B. Thomas J. Hagerty, der zu den Mitbegründerinnen der Industrial Workers of the World (IWW), den Wobblies, zählte. Auf anarchistischer Seite fanden bestimmte Inhalte der christlichen Lehre (insbesondere die Bergpredigt) viel Anklang, die selbst durch die klerikale Institutionalisierung der Religion nicht entwertet werden konnten. Fürsprecher besitzen christliche Anarchistinnen in Gestalt von Peter Kropotkin, Pierre Ramus [d.i. Rudolf Grossmann] und Gustav Landauer. Darin einstimmend äußern sich auch aktuell tätige anarchistische Autorinnen wie Murray Bookchin, wonach „das Christentum ’nicht nur ein zentralisiertes, autoritäres Papsttum hervorgebracht habe, sondern auch ‚die Antithese dazu: einen quasi religiösen Anarchismus“, wie Kalicha hervorhebt. Die Ablehnungsfront des Anarchismus gegenüber dem Christentum, die sich u.a. in dem geflügelten Ausspruch „Weder Gott noch Herr!“ manifestiert, ist um einiges durchlässiger als vielerorts unter Anarchistinnen (und Christinnen!) vermutet wird.

Im christlichen Anarchismus vereinigt sich eine beachtenswerte Schnittmenge der beiden (vermeintlichen) Antipoden: der praktizierte Anti-Militarismus bzw. Pazifismus wird als allumfassende De-Militarisierung des Sozialen begriffen, die fundamentale Staatskritik reicht von der Nichtzahlung von Steuern und der Nichtinanspruchnahme staatlicher Fürsorge bis zur uneingeschränkten Staatsverneinung, die kommunalen egalitären Autarkie-Projekte stellen eine Adaption christlicher Urgemeinden dar und nicht zuletzt findet sich in der dezidierten Abwendung vom Klerikalismus ein libertärer Anti-Autoritarismus. Vor diesem Hintergrund kann es auch nicht mehr überraschen, dass der Gottesbezug kein quasi monarchischer ist, sondern Gott wird, wie es der Catholic-Worker Ammon Hennacy nach Kalicha pointierte, als „ein Prinzip des Guten, wie es von Jesus in dar Bergpredigt dargelegt wurde“, verstanden.

Wie sich Momente eines christlichen Anarchismus in einer praktischen Haltung in Protestbewegungen ausdrücken, zeigt der australische baptistische Pastor und Antikriegsaktivist Simon Moyle in seinem kurzen Beitrag „Christlicher Anarchismus. Überlegungen zu Theorie und Praxis“. Für Moyle „[ist] die christlich-gewaltfreie Praxis eine aktive“ und ein „konfessionell motivierter Rückzug“ ins stille Kämmerlein „keine gewissenhafte Glaubensentscheidung“. Gewaltfreie Blockaden vor Militärbasen, um Manöver zu unterbinden, oder punktuelle Sabotageaktionen von Kriegsgerät, d.h. Schwerter zu Pflugscharen umzufunktionieren, stellen für das Mitglied der australisch-neuseeländischen Gruppe „South Pacific Christian Anarchists“ zu rechtfertigende Eingriffe in das Räderwerk des Militärs dar.

Einer der hervorstechendsten christlichen Anarchisten ist zweifellos der 1912 geborene und 1994 verstorbene französische Universitätsprofessor und ehemalige Angehörige der Resistance Jacques Ellul, der von dem Albert Camus-Spezialisten Lou Marin in diesem Sammelband porträtiert wird. Elluls anarchistische Bibelinterpretation basiert darauf, nicht nur einzelne Teilaspekte zu untersuchen, sondern eine alt- und neutestamentarische Gesamtschau zu betreiben. Die Grundlagen für einen solchen biblischen Anarchismus legte Ellul in seinem Buch „Anarchisme et christianisme“ (1988) vor. Elluls Bezugspunkt ist der frühchristliche Libertarismus, der mit der sog. Konstantinischen Wende und der Etablierung des Christentums zur Staatsreligion im Römischen Reich zu seinem Ende kam: „Mit dem Konzil von 314 endet die christlich-antietatistische, antimilitaristische und – heute würden wir sagen – anarchistische Bewegung.“ Für Ellul stellt die Anarchie primär die umfassendste „Verweigerungshaltung aus Gewissensgründen“ dar, die deutlich anti-staatlich akzentuiert ist. Ellul gilt nach Marin als „eine gute protestantische Ergänzung zur orthodox-christlich beeinflussten Interpretation Tolstois.“

Ellul, der als Pionier bereits in den 1930er Jahren mehrere libertär-regionalistische und gewaltfrei-ökologische Basisgruppen im Südwesten Frankreichs aufbaute, formulierte mit dem Aufsatz „Directives pour un manifeste personnaliste“ (1935) das Konzept des „Personalismus“. Hiermit sollte ein „dritter Weg“ beschritten werden, der totalitaristische (sie!) und liberalistisch-individualistische Richtungen explizit ausschließt. „In den Mittelpunkt stellten sie [Ellul und sein Mitautor Emmanuel Mounier, Anm. OR]“, so Marin, „ein Konzept der ‚Person‘, die mehr sein sollte als ein liberales, autonomes und marktorientiertes Individuum, nämlich ein Wesen, das sich gerade durch seine Beziehungen zu anderen definiert.“ Dieses Konzept wird in christlich-anarchistischen Kreisen als eine Art Handlungsanleitung begriffen. Wirkungsmächtig wurde Ellul darüber hinaus durch sein Motto „Global denken, lokal handeln“, das später von der Anti-Globalisierungsbewegung aufgegriffen wurde.

Die Bergpredigt als christlich-anarchistisches Manifest

Die Bergpredigt ist in einem weiteren Sammelbandbeitrag zentrales Thema. Alexandre Christoyannopoulos, Lehrbeauftragter einer englischen Universität mit dem Forschungsschwerpunkt christlicher Anarchismus, liefert mit seinem Text „Die Bergpredigt – ein christlich-anarchistisches Manifest“ eine libertäre Interpretation der überlieferten Rede des Jesus von Nazaret, die in der Bibel im Neuen Testament im Matthäusevangelium drei Kapitel umfasst. Eine der bekannten Kernaussagen der Bergpredigt, dass „dem Bösen“ kein Widerstand bzw. – besser- keine Vergeltung entgegengebracht werden soll, ist konstitutiv für den christlichen Anarchismus: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Durch diese Handlung soll die Gewaltspirale auf eine subtile Art und Weise unterminiert werden. Indem der Angegriffene auf den Akt der Gegengewalt bewusst verzichtet, überrascht er nicht nur durch eine unerwartete Reaktion, sondern lässt den gewalttätigen Übergriff wirkungslos ins Leere laufen. Es läge hingegen ein Missverständnis vor, wenn diese Handlungsweise als ein „inaktives, teilnahmsloses Akzeptieren von Bösen“ ausgelegt würde.

Christoyannopoulos zufolge findet unter christlichen Anarchistinnen seit jeher eine kontroverse Diskussion darüber statt, welches Widerstehen legitim ist und welches nicht: „Widerstand gegen bestimmte Arten des Bösen, Widerstand mit bösen Mitteln, oder jeglicher Widerstand.“ Diese Auseinandersetzung wird immer dann virulent, wenn bspw. bei einer politischen (Massen-)Mobilisierung ein Aktionskonsens unter den Protestierenden gefunden werden muss, der gezielte Sachschadensdelikte ohne Personenangriffe akzeptiert. Grundsätzlich zielen gewaltlose Aktivistinnen, die sich einem christlichen Anarchismus verpflichtet fühlen, darauf, aus dem „der Zweck-heiligt-die-Mittel“-Muster auszubrechen und den „Kreislauf der Gewalt“ zu durchbrechen.

Der von libertär orientierten Christinnen vertretende Gedanke der Anarchie, der Herrschaftslosigkeit auf allen Ebenen des Sozialen, ist biblischen Zeugnissen inhärent: „Da sie die Worte Jesu der Bergpredigt wörtlich nehmen und sie den Staat in Theorie und Praxis als einen eklatanten Widerspruch dazu sehen, glauben christliche Anarchistinnen, dass der Anarchismus eine unausweichliche Konsequenz des Christentums ist.“ Somit stellt die Bergpredigt „ein politisches Dokument, ein Manifest für eine christlich-anarchistische Gesellschaft“ dar, wie Christoyannopoulos resümierend herausstreicht.

Der Einfluss der Catholic Workers auf die IWW

Der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausbildende Linkskatholizismus war innerhalb der proletarischen Bewegung durchaus strukturbildend. Die Organisationsstruktur der 1905 nach einem längeren Vorlauf gegründeten IWW wurde nach dem „Vater Hagertys Glücksrad“-Modell entworfen. Der bereits erwähnte Thomas J. Hagerty (1862-1920er Jahre) engagierte sich als römisch-katholischer Priester im Gründungsprozess der IWW. Neben des Entwurfs der grafischen Darstellung des Industrie-Unionismus war Hagerty für die Erstfassung der Präambel der IWW mitverantwortlich. Kurz nach der Konstituierung der IWW entfernte er sich von dieser und fristete in den 1920er Jahren offenbar ein Bettlerdasein in Chicago. Seine Spuren verloren sich im großstädtischen Moloch am Michigansee in Illinois. Der emanzipatorische Grundgedanke der IWW drückt sich in dem Ideal einer „One big Union“ aus, einer Vereinigung aller Beschäftigten und Beschäftigungslosen weltweit unabhängig von beruflicher Situation, ethnischer Herkunft oder geschlechtlicher Orientierung.

Der römisch-katholische Diakon und Catholic-Workers-Aktivist Tom Cornell steuert mit „Dorothy Day, Ammon Hennacy und der Anarchismus“ einen eher persönlich gehaltenen Erfahrungsbericht über zwei der Hauptvertreterinnen der 1932 konstituierten Catholic-Workers-Movement bei. Dorothy Day (1897-1980) zählte neben Paul Maurin (1877-1949) zu den Begründerinnen der Catholic Workers. Sie hatte als IWW-Mitglied einen klaren klassenspezifischen Blick auf die herrschenden Verhältnisse, der sich an der „klassisch gandhische[n] Gewaltfreiheit“ ausrichtete. Ihren Entwicklungsweg zeichnete sie in ihrer bekanntesten Veröffentlichung „The Long Loneliness“ (1952) nach. Ihre enge Verbundenheit zu den Wobblies machte sich auch daran fest, dass sie für das rebel girl der IWW, Elizabeth Gurley Flynn (1890-1964), die Grabrede verfasste.

Die Catholic Workers stellen unter den anarchistisch inspirierten Christinnen jene dar, die nicht grundsätzlich Formen der institutionalisierten Religion verwerfen, wobei sie sich auffallend undogmatisch geben: „Anstelle eines politischen Programms oder einer Ideologie haben Catholic-Worker-Anarchistlnnen eine Reihe von Grundhaltungen, Werten und Präferenzen. Prinzipiell gilt: je weniger Regeln und Vorschriften, desto besser“, so Cornell. Day präferierte in ihren späten Lebenstagen den Begriff „Personalismus“, um die katholische Arbeiterinnenbewegung zu kennzeichnen. Cornells charakterliche Anekdote zu Days Resolutheit in der Positionsfindung fällt indes durchaus zwiespältig aus: „Wenn Dorothy einmal zu einer Entscheidung gelangte, dann war’s das. Sie begrüßte den Anarchismus, solange sie die Anarchistin sein konnte. Sie nannte es ‚das abteiliche Prinzip‘, gemäß dem ein Abt ein Kloster leitet,“

Ammon Hennacy (1893-1970), der „viel mehr als eine Fußnote“ in der Geschichte der Catholic-Workers nach Cornells Ansicht einnehmen müsste, war in erster Linie als friedensbewegter Aktivist in der McCarthy-Ära in den 1950er Jahren durch die öffentliche Diskreditierung sog. vor-militärischer Zivilschutzübungen bekannt geworden. Hennacys Autobiografie unter dem Titel „Autobiography of a Catholic Anarchist“ (1953), die 1965 in einer erweiterten und umbenannten Fassung („The Book of Ammon“) erschien, vermittelt eine Vorstellung von den verschlungenen Pfaden, auf denen er im Verlauf seiner „One Man Revolution“ wandelte. Hennacys individual-anarchistischen Züge hielten ihn keineswegs davon ab, sich selbstlos in den Dienst christlicher Barmherzigkeit zu stellen. Ais Mitbegründer des Joe Hill House in Salt Lake City, das nach dem bekannten IWW-Organizer und Folk-Sänger Joe Hill (1879-1915) benannt wurde, schuf er eine Stätte für die Armen der Armen.

Christlicher Anarchismus mit Fehlstellen

Da sich die Bandtexte auf den christlichen Anarchismus fokussieren, bleiben andere Richtungen des religiösen Sozialismus, der als überkonfessionelle Sammelbezeichnung bereits 1906 von den beiden Schweizer evangelischen Theologen Hermann Kutter (1861-1931) und Leonhard Ragaz (1868-1945) geprägt wurde, außen vor. Diese Buchpublikation steht auch nicht im Kontext einer sog. Politischen Theologie, die neben ihrer ursprünglich reaktionären Schlagseite (Carl Schmitt) auch eine progressive linke entwickelte (Johann Baptist Metz).

Die fehlende Vollständigkeit dieser Sammlung ausgewählter Texte unterschiedlicher Autoren zeigt sich vor allem an einer anderen Stelle schmerzhaft. Die niederländischen Tendenzen des christlichen Anarchismus werden komplett übergangen, was vor dem Hintergrund, dass aus dem Spektrum der christlichen Anarchistinnen in den Niederlanden wichtige inhaltliche und praktische Impulse sowie organisatorische Initiativen des Antimilitarismus hervorgingen, erstaunlich ist. Der Bund der Christen-Sozialisten (BCS) mit den Protagonisten Annee R. de Jong (1883-1970) und Bart de Ligt (1883-1938) bleibt ebenso ungenannt, wie das Bündnis religiöser Anarcho-Kommunisten (BRAC), zu dessen Gründungsmitgliedern u.a. Clara Meijer-Wichmann (1885-1922) zählte. Die umfangreiche Literatur zum christlichen Anarchismus aus dem westlichen Nachbarland findet dementsprechend keine Beachtung.

Unbeachtet bleibt in diesem Sammelband auch ein früherer, der 1988 im Athenäum-Verlag aufgelegt wurde. Jens Harms‘ „Christentum und Anarchismus. Beiträge zu einem ungeklärten Verhältnis“ versammelt u.a. Texte von Micha Brumlik, Heiner Koechlin, Wolf-Eckart Feiling, Ulrich Klemm, alles Autoren, die sich verschiedentlich mit Fragestellungen eines libertären Verständnisses von Religiosität befasst haben. Dass vom Herausgeber zentrale Hintergrund- und Forschungsliteraturen nicht herangezogen werden, ist: ein Manko. Diese Fehlstellen machen sich auch deshalb bemerkbar, weil durch die Auslassung des christlich-anarchistischen Spektrums in den Niederlanden der Blickwinkel auf den christlichen Anarchismus verengt wird.

Noch eine abschließende Anmerkung: Die in Textbeiträgen des Bandes mehrmals unternommene Einordnung des revolutionären Unionismus der IWW unter das Dach des Anarcho-Syndikalismus ist fraglich. Dabei werden nicht nur die spezifischen Entstehungshintergründe der IWW verkannt, sondern auch zahlreiche O-Töne von Wobblies, in denen sich „ideologisch“ vom Anarcho-Syndikalismus abgesetzt wird, überhört.

Trotz dieser kritischen Einwände bietet der Sammelband einen überaus interessanten Einblick in eine eher verborgen gebliebene Sphäre des Anarchismus, die durch diese Veröffentlichung aus ihrem Schattendasein geholt werden konnte.

[Der vollständige Text kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden.]