Als politischer Gefangener im „Normalvollzug“
In den bundesdeutschen Knastanstalten sind politische Gefangene, wenn die Differenz zu den sozialen Gefangenen an dieser Stelle aufgemacht werden darf, eine absolute „Ausnahmeerscheinung“. Auch in diesem Land kann man sich an frühere Zeiten erinnern, in denen einige Dutzend politischer Gefangener die Knastverhältnisse stark prägten. Das ist Vergangenheit. Ein Umstand, den ich mir selbst erst einmal während meiner Haftzeit vergegenwärtigen musste, weil er recht einschneidende Konsequenzen mit sich bringt. Dieser Text ist meinerseits als eine (sehr) knapp gehaltene Zwischenbilanz nach einer dreijährigen Haftzeit zu verstehen, in der ich die verschiedenen Knasteinrichtungen, die man in Berlin kennen lernen kann, durchlaufen habe (U-Haft in Moabit, Offener Vollzug in Hakenfelde, Geschlossener Vollzug in Tegel).
Anlass dieses Papiers ist des Weiteren der 18. März, der als ehemaliger Tag der Pariser Kommune 1922 vom IV. Kongress der Kommunistischen Internationale als Kampftag der politischen Gefangenen etabliert wurde. 1996 wurde dieser Tag von der Initiative Libertad! reaktiviert.
Zum Hintergrund
Im Telegramm-Stil zu mir und meiner Situation: Im Sommer 2007 wurde ich mit zwei weiteren Genossen im Rahmen einer antimilitaristischen Aktion (Sabotage gegen NATO-Kriegsgerät) von einem Mobilen Einsatzkommando (MEK) in der Brandenburgischen Einöde festgesetzt. Nach einem Jahr Prozessvorbereitung, einem Jahr Prozess und einem Jahr Revisionsdauer war es (höchstrichterlich) amtlich: 3 1/2 bzw. 3 Jahre Haft nach § 129 wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg) und einer versuchten Inbrandsetzung von Bundeswehr-LKWs in Brandenburg/H. Bis zum September dieses Jahres sitze ich die Haft in der JVA Tegel-Berlin ab. Zuvor befand ich mich 22 Monate im sog. Offenen Vollzug in Hakenfelde.
Die mg existierte von 2001 bis 2009. Sie agierte als klandestine Gruppierung, die, wie es in ihren Textveröffentlichungen hieß, einen sozialrevolutionär-antiimperialistischen Ansatz auf kommunistischer Grundlage vertrat. Die mg lancierte mit anderen linksradikalen Gruppenzusammenhängen eine Militanzdebatte, die sich über Jahre erstreckte und die Szenerie der Klandestinen in der BRD in Teilen beeinflusste. U.a. wurde der Strukturvorschlag der Bildung einer militanten Plattform eingebracht, eines Vernetzungsversuchs von klandestin-militanten Organismen.
In den frühen Morgenstunden des 22. Mai 2013 wurde mir vom BKA ein neuerliches § 129-Ermittlungsverfahren eröffnet. In diesem Verfahren geht es um die Kriminalisierung von verschiedenen linksradikalen Gruppenstrukturen, die von der Bundesanwaltschaft (BAW) zu einem „Komplex“ zusammengezogen wurden. Die „Untergrundpostille“ radikal, das informelle Netzwerk Revolutionäre Linke (RL) und die klandestine und militante Struktur Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) sind dabei ins Visier der staatlichen Verfolgungsbehörden geraten. Auch wenn seit Jahren von diesen Strukturen keinerlei inhaltliche oder praktische Töne mehr zu vernehmen sind, wird der Komplex „radikal/RL/RAZ“ offenbar mangels Alternativen vom staatlichen Fahndungsapparat ganz im Sinne der extremismustheoretischen Verrenkungen hinsichtlich eines vermeintlichen „Gefährlichkeitsgrades“ aufgewertet.
Die am besagten Maitag letzten Jahres stattgefundene bundesweite Razzia gegen Genossinnen aus der radikalen Linken bezog sich auf insgesamt 9 Leute in den Städten Berlin, Stuttgart und Magdeburg. Ein Ergebnis dieser Staatsschutzaktion war, dass ich in den Geschlossenen Vollzug der Tegeler Enklave verschubt wurde.
Seitdem bin ich in der leicht schizophrenen Situation, einerseits mit den Auswirkungen des mg-Verfahrens konfrontiert zu sein, andererseits vor einem potentiellen weiteren Staatsschutzprozess der Klassenjustiz zu stehen.
Zum Programmwechsel
Das Phänomen in den BRD-Knästen ist, dass im fundamentalen Unterschied zu den 1970er bis 1990er Jahren nur noch in Ausnahmefällen Inhaftierte der nicht-migrantischen Linken einsitzen, die mit den bekannten Staatsschutzparagrafen §§129ff. traktiert wurden. Alle früheren Kollektivstrukturen politischer Gefangener sind Teil der Knast(kampf)geschichte in diesem Land. Ein gemeinsamer Austausch, eine gegenseitige Stärkung, aber auch (un-)produktive Kontroversen untereinander, alles das ist passé.
Eine Beschäftigung mit der Vergangenheit politischer Gefangenschaft in der BRD führt schnell zu dem Punkt, dass es sich hierbei keineswegs um eine bruchlose, beinahe heroische (Kampf-)Geschichte hinter Gittern handelt. Grundsätzlich ist klar zu haben, dass das Gefangenen-Sein die Voraussetzungen für (politische) Aktivitäten nicht günstiger gestaltet, sondern wesentlich verschlechtert. Ich habe manchmal den Eindruck gewinnen müssen, dass das nicht bei allen Solidarischen vor den Anstaltstoren so gesehen wird. Ich kann das an dieser Stelle nicht detaillierter ausführen, aber: die zehn kollektiven Hungerstreiks, die ab den 1970er Jahren von politischen Gefangenen in den BRD-Knasten ausgingen, waren rückblickend betrachtet sicherlich Marksteine des knastinternen Aufruhrs, der eine zum Teil große Strahlkraft durch die Knastmauern hindurch entfalten konnte. Diese Regungen in den Isolationstrakten waren indes Einzelfälle, die unter Berücksichtigung des Gesamtverlaufs der Knastzeiten nicht mehr als Momentaufnahmen waren. Überschattet werden die mitunter verhältnismäßig breit getragenen Mobilisierungen einerseits durch die Kette von persönlichpolitischen Zerwürfnissen unter den ehemals inhaftierten Genossinnen, die nicht selten in einer (Selbst-)Aufgabe endeten. Dies korrespondierte andererseits mit dem allmählichen Zerfall ihrer Organisationshintergründe in der „Außenwelt“, der Züge einer Implosion annehmen konnte.
Falls es jemals zu einer Aufarbeitung der Etappen der politischen Gefangenschaft in den BRD-Knasten kommen sollte, dann werden wir uns als radikale Linke damit zu befassen haben, dass eine spätestens ab Mitte der 1990er Jahren um sich greifende Niedergeschlagenheit zu einem stillen oder offenen Distanzieren vom vormaligen militanten oder bewaffneten Kampf führte. In der Folge äußerte sich diese Entwicklung exemplarisch u.a. in einer Aussagebereitschaft gegenüber Vertreterinnen der BAW und in dem Stellen von Gnadengesuchen an den Bundespräsidenten der BRD.
Ich mache mir, so hoffe ich, nichts vor: meine Einflussmöglichkeiten sind äußerst eng umgrenzt – im doppelten Wortsinne. Zum einen existiert kein wie auch immer gearteter Verbund unter (politischen oder rebellischen) Gefangenen. Die rote hilfe international (rhi) oder die Interessenvertretung Inhaftierter (IvI) stellen allenfalls Ansätze einer weitergehenden Organisierung dar. Zum anderen ist das Knastregime mit seinem ausdifferenzierten Arsenal von (Zwangs-) Mitteln in der Lage, „Brutstätten“ des potentiellen Widerstehens zügig „auszuräuchern“. Auch das ist unbedingt zu realisieren, wenn man sich an eine Einschätzung der Kräfteverhältnisse machen sowie „drinnen & draußen“ Aktivitäten auslösen will. Wie dem auch sei: Die persönlich-politische Umstellung war gravierend, da ich in den späten 1980er Jahre politisch sozialisiert wurde und Zeit brauchte, um die „normative Kraft des Faktischen“ zu akzeptieren, dass ich innerhalb der bundesweiten Knacki-Population mehr oder weniger ein „Exot“ bin. Mit einem solchen „Status“ lässt es sich ja noch relativ gut leben, problematischer ist da schon die damit verbundene (politische) Isoliertheit. Eine Isoliertheit, die im „Normalvollzug“ eine ganz andere ist als zu Zeiten des Kampfes gegen die zerstörerischen Auswirkungen der Iso-Haft der früheren Gefangenenkollektive. Ich hatte für mich eine Art „Programmwechsel“ durchzumachen, den Schalter umzulegen. Die Total-lntegration in den normalen Knastalltag mit seinen diversen Verrücktheiten stellt Anforderungen an einen, die kaum als „Trockenübung“ vorab simuliert werden können. Im Grunde wird man in eine unbekannte und vor allem unerfahrene Situation gestoßen; umso tiefer, wenn, wie in meinem Falle, Bilder der politischen Gefangenschaft vergangener Jahrzehnte im Kopf präsent sind, die mit der aktuellen (Lebens-)Wirklichkeit in den Kerkern nicht mehr viel gemeinsam haben.
Zum Aktivismus
Entscheidend ist, dass man als inhaftierter politischer Aktivist den Knast als „sozialen Ort“ nicht als das tiefe „schwarze Loch“ begreift, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.
Und was folgt daraus, dass ich mich im sog. Normalvollzug befinde? Zum einen habe ich jegliche Marotte abgelegt, als politischer Gefangener „über“ den anderen Inhaftierten zu stehen. Ich hatte mich sozusagen in meinem neuen sozialen Umfeld zu akklimatisieren. Zum anderen suche ich nach Bewegungsformen innerhalb dieser Zwangsanstalt, um meinen Aufenthalt hier „zu politisieren“. Ein Rückzug ins stille Kämmerlein käme ja einer selbst verordneten Ausgrenzung gleich.
Knast als „Milieustudie“ hat durchaus seine, etwas beschönigend formuliert, faszinierenden Seiten. Der Knast ist ein hochkomplexer sozialer Organismus, eine (brachiale) Parallelwelt, die, so mein Erleben, bis zu einem gewissen Grade unvermittelbar bleibt. Und jeder noch so verwerfliche Mikrokosmos sozialer Existenzen eröffnet Raum. Raum, der (politisch) gefüllt werden will. So auch im Knast. Die solidarische Begleitung, die ich dankenswerter Weise von verschiedener Seite „hier & dort“ erfahre, kann natürlich nicht die Interaktion unter politischen Gefangenen ersetzen. Es ist eine wichtige Erfahrung zu spüren, dass es ein „untergründiges Band“ der Solidarität unter politischen, revolutionären und rebellischen Gefangenen gibt, ohne dass ein direkter Draht herstellbar ist, der über eine postalische Kommunikation hinausgeht.
Ich bin – wie man so schön sagt – zutiefst davon überzeugt, dass wir an (unsere) Widersprüche heran müssen – schonungslos. Nur ein Beispiel: „Drinnen & draußen – ein Kampf! Knastkampf ist Klassenkampf“ – richtig, aber salopp daher gesagt. Wir haben verstärkt darauf zu achten, unsere Ausrufesätze mit Leben zu füllen. Denn nichts desillusioniert mehr, als wenn man als radikale Linke wortreiches Leergut anschleppt. Vor allem dann, wenn’s sich ums Thema Knast dreht. Also weg vom Formelhaften und hin zum Umsetzbaren. Das sollte auch eine Methode sein, um die haltlosen idealistischen Flausen aus dem Kopf zu kriegen.
Klar, ich habe meinen Beitrag einzubringen. Als eingesperrtes politisches Subjekt besteht meine hauptsächliche Antriebsfeder darin, die mehrschichtigen Trennlinien aufzuweichen und das abgrenzende Mauerwerk zu überwinden. Phasenweise zumindest. Wie? Indem ich auf der Suche nach Optionen bin, um die Idee einer Gefangenen-Organisierung als Aktivist der Industriell Workers of the World (IWW) auszuloten, Kontaktstränge zu anderen politischen Gefangenen im Rahmen der roten hilfe international (rhi) zu knüpfen und eine Politisierbarkeit des sozialen Banditentums zu behaupten. Es müssen erst wieder Basen geschaffen werden, damit die beiden Momente des „Drinnen & Draußen“ in einen sich gegenseitig befördernden Bewegungszustand kommen können.
Meine Ambitionen sind zahlreich, zahlreich sind allerdings auch die Stolpersteine, die da den Weg des Aufbruchs pflastern. Sei’s drum: Als notorischer Anhänger des Linksradikalismus kennt man natürlich dieses „Spannungsverhältnis“ zu genüge …
Zum Appell
Ohne die eigene politische Orientierung identitär groß aufladen zu wollen, ist hervorzuheben, dass an einer Positionierung als radikaler Linker nichts zu stigmatisieren ist. Eine solche Standortbestimmung ist ein Ausdruck eines klassenkämpferischen und revolutionär-antimilitaristischen Verständnisses, dass sich aus der besten aller Traditionen des proletarischen Befreiungs- und Emanzipationskampfes ableiten lässt. Die Bremer, Hamburger und Dresdner Linksradikalen vor und während des Ersten Weltkriegs, die u.a. mit den Namen Anton Pannekoek, Johann Knief, Lotte Kornfeld oder Otto Rühle verbunden sind, opponierten vehement gegen den am Horizont aufziehenden imperialistischen Krieg und gegen die Burgfriedenspolitik der Führungsclique der deutschen Sozialdemokratie. Was zeichnet ein solches linksradikales Selbstverständnis aus? „Nicht Sektiererei, sondern Richtungskampf, nicht Verwischen der Grenzen, sondern Klärung, das ist theoretisch der Sinn des Linksradikalismus“, wie es in einem Beitrag der Bremischen linksradikalen Zeitung „Arbeiterpolitik“ mitten im Ersten Weltkrieg hieß. Eine Tendenz, an die bevorzugt anzuknüpfen ist, wenn der libertäre Gehalt der kommunistischen Bewegungen herausgestrichen werden soll. Aus dieser dissidenten Strömung entwickelte sich nach dem Kriegsende ein revolutionär-unionistischer und rätekommunistischer Ansatz, der – jahrzehntelang nahezu vergessen – wieder mehr Interesse weckt. Und nur nebenbei: so wird „Traditionalismus“ auch richtig sinnfällig. Diese positive Resonanz schafft hoffentlich weiteren Rückenwind für Initiativen, die auf Klassenautonomie und Selbstorganisierung der Entrechteten, Stimmlosen und Verdammten setzen.
Auf einen Punkt möchte ich zum Abschluss an dieser Stelle aufmerksam machen: In den kommenden Wochen bzw. Monaten ist damit zu rechnen, dass die politischen und revolutionären Gefangenen der unterschiedlichen Fraktionen in Griechenland in einem Knast konzentriert werden sollen. Gegen diese Zwangsverlegungen, so ist zu erwarten, wird sich über die Spektrengrenzen hinaus Protest und Widerstand regen. Achtet auf entsprechende Ankündigungen und solidarisiert Euch!
Wir hören voneinander und Glück auf!
Olli – §129-Gefangener aus dem mg-Verfahren
März 2014