Texte zum Knast – Teil 3
Dieser Beitrag bildet den (vorläufigen) Abschluss einer Trilogie von Texteinwürfen. Begonnen habe ich mit der „Suchanfrage“ an die Gilde der klassischen Berufsverbrecher. Im Anschluss habe ich die immer wiederkehrende Kontroverse um die (Selbst-)Definition als politischer Gefangener im Verhältnis zu anderen Gefangenengruppen aufgemacht. Zum Abschluss widme ich mich dem „Aufgabengebiet“ des sozialen und politischen Umfelds des/der Inhaftierten.
Mein Ziel ist es, über die relativ kurz gefassten Abrisse einzelner Fragestellungen, die sich meiner Ansicht nach zwingend aus dem Umstand der politischen Gefangenschaft unter den aktuellen Bedingungen ergeben, zu einer umfassenderen Abhandlung zu kommen. Nun aber zum heutigen Einwurf: Blinde Flecken in der Solidaritäts- und Antirepressionsarbeit finden sich vor allem in Bezug auf das (heterogene) soziale Umfeld des/der politischen Gefangenen. Es ist durchaus angezeigt, den Blickwinkel hinsichtlich der politischen Gefangenschaft auf den eigenen sozialen Radius zu erweitern. Denn Angehörige, Freundinnen und Genossinnen aus dem (engsten) sozialen Umfeld des/der Gefangenen machen zum Teil unterschwellig den Knast mit – täglich und annähernd ohne Auszeiten.
Über die Umfelder des/der politischen Gefangenen
Das Umfeld eines/einer politischen Gefangenen ist in den seltensten Fällen homogen. Eine Hauptdifferenz besteht darin, dass das „persönliche“ Umfeld nicht unbedingt mit dem „politischen“ deckungsgleich ist.
Unterschiedliche Vorstellungen von einer konkreten Unterstützung des/der Gefangenen lassen sich nicht umstandslos in ein Korsett pressen. Und wenn diese differierenden Vorstellungen noch mit dem/der Inhaftierten rückgekoppelt werden, dann kann durchaus die eine oder andere Abstimmungsschwierigkeit aufkommen. Es ist bestimmt nicht immer leicht, da eine erforderliche und gut kommunizierte Übereinkunft zu finden. Es stellt sich mitunter als kompliziert dar, diese beiden Welten des „Drinnen und Draußen“ zusammenzuführen, insbesondere dann, wenn „Übermittlungs- und Übertragungsfehler“ zwischen dem/der Inhaftierten und dem solidarischen Umfeld im Spiel sind. Zum Beispiel: das „Drinnen“ erwartet, dass das „Draußen“ (ohne Zeitverlust) anspringt, wenn’s vom „Drinnen“ als erheblich angesehen wird. Das „Draußen“ hegt ans „Drinnen“ ebenso Erwartungen, die vom „Drinnen“ nicht (ohne Zeitverlust) erfüllt werden können. Eine unaufhebbare Diskrepanz? In einigen Fällen sicherlich.
Gut, die Interaktion muss sich auch erst einüben und es kann erfahrungsgemäß nicht vorausgesetzt werden, dass anfangs gleich alles reibungslos funktioniert. Die Haftsituation lässt es nicht in jedem Moment zu, eine hundertprozentig klare Linie zu verfolgen. „Taktische Sachzwänge“ im Rahmen des „Knastkampfes“ können sich ergeben, wenn beispielsweise die eigene Position in der Anstaltswelt total marginal ist.
Es kann auch nicht sein, dass man als Knacki ein funktionalistisches Verhältnis zu „seinen Leuten“ draußen entwickelt. Das würde dem Ansatz zuwiderlaufen, in einen möglichst intensiven „paritätischen Austausch“ mit Solidarischen vor der Knastmauer zu treten. D.h., dass dieser Austausch aus meiner Sicht keine Einbahnstraße sein kann, der von drinnen geradewegs nach draußen führt. Die Wichtigkeit des sozialen wie solidarischen Vor- und Umfeldes zeigt sich vor allem auch in der „reproduktiven Funktion“. Die eigene weitgehende anstaltsbedingte Handlungsunfähigkeit muss von Angehörigen, Freundinnen und solidarischen Genossinnen draußen kompensiert werden. Der Verlust an Betätigungsfreiheit und Selbstständigkeit des Gefangenen soll sich hierüber wenigstens verringern.
Das „Aufgefangen-Sein“ des/der politischen Gefangenen durch das bestenfalls undurchlässige Solidaritätsnetz verschafft (Selbst-)Sicherheit im Knast. Diese Bedeutung eines „interventionsfähigen“ Umfeldes ist nicht wegzuwischen, denn es ist ein völliges Zerrbild, vom hartgesottenen, emotionslosen und beziehungslosen Kader in den Kerkern auszugehen. Da steckt nicht nur eine zutiefst reaktionäre Attitüde drin, vielmehr findet sich ein solcher Typus als Karikatur vielleicht in einem schlechten Comic, in der Knastrealität begegnet man allerdings oftmals Placebos.
Ober die Co-Abhängigkeit der Solidarischen
Es besteht eine vertrackte Co-Abhängigkeit der Solidarischen draußen gegenüber dem/der Inhaftierten drinnen. Der Gefangene/die Gefangene gibt aufgrund der Knastsituation unwillkürlich den Takt vor, auch -wenn – wie skizziert – eine größtmögliche Wechselbeziehung auf gleichberechtigter Basis stattfinden soll. Aber gerade aus diesem besonderen Beziehungsgeflecht ergibt sich eine gegenseitige Abhängigkeitssituation, die immer vom Freiheitsentzug bestimmt ist. Es stellt einen Kraftakt dar, diesen geradezu surrealistischen Zustand auszuhalten, zu ertragen und letztendlich zu bewältigen.
Diese Belastungssituation ist mitnichten als eine zu vernachlässigende Begleiterscheinung abzutun, da diese Form von „Anteilnahme“ wiederum Rückwirkungen sowohl auf die/den Gefangene/-n als auch auf einzelne Solidarische aus dem Nahumfeld hat. Diese Verquickung potenziert sich, umso enger man mit Menschen zusammengelebt hat, die aus den gewohnten sozialen und politischen Zusammenhängen herausgerissen wurden.
Der erste Impuls, zuvorderst die Solidaritätsarbeit für die/den politische/-n Gefangene/-n zu organisieren, ist nachvollziehbar. Um sie/ihn herum zentriert sich vieles an Aktivitäten. Angehörige, Kolleginnen und Freundinnen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht in eine dezidiert politische Solidaritätsarbeit einklinken, geraten fast zwangsläufig in den Hintergrund oder völlig aus dem Sichtfeld. Sie kommen oft gar nicht vor und sind „Betroffene zweiter Klasse“ – wenn überhaupt.
Und da viele der engen Vertrauten draußen den Knast je spezifisch mitmachen und emotional (stark) angegriffen sind, ergibt sich aus dieser mehrschichtigen Co-Abhängigkeit, dass nicht nur der/die Inhaftierte als Freundin, Kollegin, Genossin phasenweise ein „Betreuungsfall“ ist, sondern auch ein „reproduktiver Aufwand“ gegenüber den Solidarischen besteht. Nur: Wer/welche soll diesen erbringen? Das scheint mir im Rahmen unserer Solidaritäts- und Antirepressionsarbeit gänzlich ungelöst zu sein.
Ich kann an dieser Stelle nur festhalten, dass sich die Aufrechterhaltung bzw. Wiedererlangung einer (politischen) Handlungsfähigkeit nicht nur auf die Eingeknasteten bezieht, sondern ebenso die Solidarischen mit einzuschließen hat.
Über die Erweiterung des Blickwinkels
Das, was ich hier wiederum nur anschneiden kann, habe ich mit der einen oder anderen Nuance erfahren. Die Gefahr einer unguten Selbstbespiegelung als „politische/-r Gefangene/-r“, um die/den sich die (kleine) solidarische Welt (ausschließlich) zu drehen hat, ist hierbei gegeben. Dieser Blickverengung ist vorzubeugen, indem man seine eigene Situation zu relativieren versteht und begreift, dass Nahestehende vom Knast-Modus auf eine subtile Art und Weise gleichermaßen eingefangen werden. Soviel sollte deutlich geworden sein. „Lässt uns die Sache auf den Punkt bringen: Politische Gefangene sind Im Vergleich zu allen anderen Gefangenen in der Regel und in erster Linie privilegierte Gefangene. Dieses Privilegiert-Sein drückt sich u.a. darin aus, dass in der Knacki-Hierarchie politische Gefangene weit oben rangieren und diese über das Soli-Umfeld oftmals einen relativ guten Zugang zu Pressekontakten haben. Eine materielle und finanzielle Absicherung garantieren darüber hinaus Organisationen wie die Rote Hilfe e.V. Und nicht zuletzt wird der Freiheitsentzug infolge der (vielschichtigen) Solidarität- und Öffentlichkeitsarbeit ein stückweit ausgehebelt, da die Lage des Eingeknasteten sieht- und hörbar gemacht wird.
Meine (steile) These ist, dass – von bestimmten Phasen innerhalb des Knastes abgesehen – der (soziale) Alltag hinter Gittern aufgrund der starken Reglementierung weit weniger komplex ist als vor den Anstaltstoren. Neben der Bewältigung des Alltagslebens draußen kommt die vielschichtige Betreuung des Inhaftierten hinzu. Das ist mitunter nicht nur eine die Haftzeit andauernde (zeitliche) Extra-Belastung, sondern kann von den Unterstützerinnen (im Einzelfalle) auch als (emotionale) Zumutung empfunden werden. Der/die Gefangene übt (ungewollt) eine Dauerpräsenz bei seinen/ihren (engen) Angehörigen, Freundinnen und solidarischen Genossinnen aus. Latent kann er/sie zu einer Dominanten im Alltagsgewühl der Unterstützerinnen draußen werden.
Und wenn sich dieser alltagsspezifische Mehraufwand eventuell über Jahre erstreckt, sind nicht nur Ermüdungserscheinungen und Abnutzungstendenzen die Folge. Wenn ich diese (steile) These zuspitzen wollte, komme ich nicht um die Aussage herum, dass in der Summe ein Existieren im sog. Normalvollzug „einfacher“ und die Alltagsbewältigung in der „Außenwelt“ plus Gefangenenbetreuung „schwerer“ ist. Es dürfte nahezu ausgeschlossen sein, ein Patentrezept des Umgangs mit einer Situation zu finden, in der infolge eines staatlichen Repressionsschlages soziale (und politische) Zusammenhänge regelrecht aufgesprengt werden. Wenn schon nicht die Folgewirkungen (Arbeitsplatzverlust, Lösung sozialer Bindungen etc.) für die/den Eingeknastete/-n neutralisiert werden können, so ist zumindest darauf hinzuwirken, dass diese für die Angehörigen und Freundinnen minimiert werden. Intakte soziale und politische Bande sind keine alleinige Gewähr, aber doch mitentscheidend, dass der Bruch in der Biografie des Repressierten mit dem sozialen Umfeld nicht allzu tief ausfällt.
Oliver Rast – § 129-Gefangener aus dem mg-Verfahren