Eine neue Gewerkschaftsgründung in der JVA Tegel bietet dem gefängnisindustriellen Komplex die Stirn
Von Sven Wegner
Oliver Rast ist seit fast 3 Jahren inhaftiert. Verurteilt wurde er nach Paragraph 129 StGB, wegen der mutmaßlichen Mitgliedschaft in der „Militanten Gruppe“ (mg) – eine sog. Kriminelle Vereinigung. Im Zuge einer Großrazzia gegen die vermeintliche mg-Nachfolgeorganisation „RAZ” wurde er in den geschlossenen Vollzug der JVA Tegel verlegt. Rast ist ein sogenannter Wobblie, ein Gewerkschafter der Basisgewerkschaft „Industrial Workers of the World“ (IWW) und Sprecher der im Mai gegründeten „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“.
Nicht einmal eine Woche nach der Gründung, kam es am 27. Mai zu einer Razzia in der Zelle von Rast und dem stellvertretenden Sprecher Atilla-Aziz Genc. „Beschlagnahmt wurden drei Briefe sowie die Gründungserklärung und die Pressemitteilung der Gewerkschaft“, so sein Anwalt Sven Lindemann. In der Gründungserklärung, die der Analyse und Kritik vorliegt, heißt es, dass die Inhaftierten „auf das grundgesetzlich verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit Bezug“ nehmen. Aufhänger für die gewerkschaftliche Arbeit hinter Gittern sollen der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde und der Anspruch auf Rentenversicherung sein. Von beidem sind Gefangene bislang ausgenommen, obwohl das Strafvollzugsgesetz eine sog. Arbeitspflicht vorsieht, die bis zu drei Monate pro Jahr beträgt. In der öffentlichen Diskussion um den gesetzlichen Mindestlohn sind Gefangene praktisch ausgeschlossen. Bislang gibt es sechs Vergütungsstufen für Gefangene. „Gefangene, die schon länger arbeiten, verdienen bis zu 14,55 Euro am Tag. Es gibt keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, keine Renten- und Sozialversicherung. Die JVA Tegel positioniert sich seit 2002 offensiv als Dienstleister auf dem sogenannten freien Markt. Die Gefangenen sind in der Regel auf das Einkommen angewiesen, um sich im externen Einkauf mit Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen“, sagte Emma Michel, ein Mitglied des Solidaritätskomitee für Rast gegenüber dem Berliner Journalisten Peter Nowak.
Der aufmüpfige Gewerkschafter scheint der JVA Tegel durchaus ein Dorn im Auge zu sein. Bereits im Oktober 2013 sorgte er für Wirbel. Nach seiner Verlegung in den geschlossenen Vollzug entschied sich Rast zu einem Studium der Kulturwissenschaften an der Fernuniversität Hagen. Zu den 38 Stunden Studium pro Woche kamen weitere 40 Stunden Arbeit. Rast musste damals zusätzlich in der Kartonageabteilung der Berliner Vollzugsanstalt Kartons kleben. Eigentlich sollten 78-Stunden-Wochen Geschichte sein, doch die JVA Tegel zeigte, dass dies nicht unbedingt bei allen Gefangenen der Fall sein muss. Der JVA-Sprecher Lars Hoffmann versucht gegenüber der Berliner Tageszeitung TAZ die Vorwürfe zu entkräften. „Die JVA Tegel stellt Häftlinge von der Lohnarbeit frei, wenn sie ein Fernstudium abschlussorientiert absolvieren.“ Warum der Gefangene, dann trotz der Empfehlung seiner Sozialarbeiterin nicht von der Arbeit freigestellt wurde, konnte Hoffmann nicht sagen. Die Gründung einer Gewerkschaft innerhalb der Gefängnismauern ist Neuland und birgt durchaus Zündstoff. Dessen war sich auch Rast bewusst. So schrieb er am 23. Mai in einem Brief an eine Freundin „Das wird hier vermutlich hohe Wellen schlagen – wir sammeln gerade Unterschriften für die Gefangenen Gewerkschaft (…) Aber: die Gegenwehr wird kommen (…)“
Der mögliche Nachahmungseffekt der Gefangeneninitiative dürfte die Behörden alarmiert haben. So heißt es es in der Gründungserklärung „Mit unserer Initiative setzen wir darauf, beispielgebend für Gefangene in andere Haftanstalten der Bundesrepublik zu sein, damit die eigenen Belange nicht nur auf geduldigem Papier stehen, sondern vor allem auch gehört werden müssen.“ Tegel ist nicht die einzige Vollzugsanstalt, die die Vorteile des – auch in Deutschland entstehenden – „gefängnisindustriellen Komplexes“ wittert. In Hessen gibt es bereits eine teilprivatisierte Haftanstalt die Kaffee verkauft. Der Knastshop „SANTA FU – kreative Zellen“[1] wirbt mit „heißen“ und „originellen“ Produkten und Geschenkideen „direkt aus Hamburgs Knast.“ Der Justizvollzug Nordrhein-Westfalen bietet auf der Seite www.knastladen.de Produkte für Privatkunden, aber auch für die öffentliche Hand an. Der sächsische online-shop www.gitterladen.de sieht die Gefangenenarbeit „als verlängerte Werkbank des Handwerks und der Industrie“ um deren „Auftragsspitzen schnell und kompetent abfangen“ zu können.
Dem marktwirtschaftlichen Interesse der JVA Tegel, die mit ihrem markigen Motto „Kaufmannsladen im Knast“[2] um Kunden wirbt, laufen die gewerkschaftlichen Bestrebungen mit großer Sicherheit zu wider. In der Öffentlichkeit scheint es kaum Kritik an der Pflichtarbeit im Knast zu geben. Der Berliner Tagesspiegel wirbt offenkundig für diese Form der Ausbeutung und weiß zu berichten, dass „der JVA-Shop in Tegel (…) günstige Produkte und Dienstleistungen – mit dem Mehrwert der guten Tat“ [3] bietet und spricht den Gefangenen damit indirekt elementare Rechte ab. Die Äußerung könnte auch in einem ganz anderen Licht betrachtet und umgeschrieben werden. Dann müsste es heißen „Der JVA-Shop in Tegel bietet günstige Produkte und Dienstleistungen – ohne sich mit der Ausbeutung der Häftlinge beschäftigen zu müssen.“ Würden die Gefangenen gerecht entlohnt und könnten sie ihr Grundrecht auf gewerkschaftliche Organisierung in Anspruch nehmen, wäre es sicher bald vorbei mit diesen Marketingstrategien. Das im Grundgesetz durch Artikel 9, Absatz 3 [4] garantierte Recht auf Koalitionsfreiheit gilt letztlich auch im Gefängnis. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie befürwortet diesen Ansatz der Gefangenenorganisierung und meint, dass „die erfolgreiche Gründung einer Gefangenengewerkschaft (…) angesichts der menschenunwürdigen Entlohnung von Gefangenenarbeit ein äußerst begrüßenswertes Novum darstellt.“ [5] In einem Interview gegenüber der Berliner Wochenzeitung Jungle World brachte es Angela Davis einmal so zum Ausdruck „Aus dem sozialen Tod der Versklavten wird in der modernen Demokratie der rechtliche Tod der Gefangenen.“ [6]. Die konkrete Hoffnung der „Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel“ ist die Unterstützung „von den DGB-Einzelgewerkschaften (Verdi, IG-Metall) und den verschiedenen basisgewerkschaftlichen Initiativen (IWW, FAU) (…) damit die Knäste für die Inhaftierten keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind.“ Bisher verurteilt zumindest die Ortsgruppe der FAU-Berlin „das Agieren der Gefängnisleitung der JVA Tegel“. Die Gefängnisverwaltung selbst scheint etwas zurück zu rudern und betont mittlerweile selbst, dass sie eine Gewerkschaftsgründung nicht verhindern wolle.
Der Tagesspiegel scheint die Probleme jedoch in anderen Bereichen zu sehen, denn „den Berlinern“ in Knastshops in Tegel würde „der Coolness-Faktor hingegen noch“ fehlen. Hoffen wir, dass es so bleibt, denn wie „cool“ ist es, dass es jetzt eine Gefangenen-Gewerkschaft gibt!?
[2] http://www.berlin.de/sen/justiz/justizvollzug/tegel/jva-shop.html
[3] http://www.tagesspiegel.de/berlin/gefaengniswerkstaetten-kaufmannsladen-im-knast/7359258.html
[4] http://www.verfassungen.de/de/gg.htm